Kolumne: Durchbruch nach Drehbuch
18. Oktober 2004 / von aths / Seite 1 von 1
Als User findet man es auf den Hersteller-Webseiten, als freiberuflicher Journalist im Hardware-Bereich täglich in seinem Mail-Eingang: Jemand "announced" wieder etwas, es gibt einen "Breakthrough", geliefert werden "Schlüsseltechnologien", der Kunde profitiert ohne Ende, und jeder einzelne Hersteller ist "A world-wide leader".
I
Marketing muss sein. Leider treibt die Vermarktung seit einiger Zeit Blüten. Erinnern wir uns an die GeForceFX 5200 Ultra. Preis/Leistung spielt keine Rolle: Die Karte ging als Testmuster in viele Labore und im Ergebnis brachte sie für viele Spiele durchaus brauchbare Leistung. Verkauft wird natürlich die GeForceFX 5200 ohne Ultra, mit 64-Bit-Speicherinterface.
In vielen Produktbeschreibungen, unter anderem bei eBay, wird lang und breit erklärt, wie toll DirectX9 von dieser Karte unterstützt wird. Naheliegender Schluss: Diese Features würden ja nicht lohnen, gäbe es nicht die passende Leistung dazu. Dass die Angebote auch noch so günstig sind, führt leider nicht dazu, dass die Produktbeschreibung kritisch hinterfragt wird.
"Günstig" ist auch im Kontext zu sehen. Der Autor wurde kürzlich Augenzeuge, wie sich jemand in einem PC-Einzelhandelsgeschäft zierte, für eine Grafikkarte, die er zum Spielen braucht, 64 Euro rauszurücken. Erworben hatte er eine GeForceFX 5200 mit 64-Bit-Speicherinterface. Für einen Zehner mehr hätte er eine Version mit 128-Bit-Speicherinterface bekommen können. Doch noch mehr Geld auszugeben, dazu hätte ihn der Verkäufer wohl noch länger bearbeiten müssen – und andere Kunden warteten schon, um auch noch bedient zu werden.
Natürlich ist es besser, wenn die Sparsamen wenigstens eine GeForceFX 5200 haben, und sei es mit 64 Bit Speicherinterface, als wenn sie weiterhin mit ihrer alten GeForce2 MX rumgurken.
II
Immer mehr Leute, die sich nicht besonders für 3D-Grafikkarten interessieren, sondern einfach ihren Computer benutzen wollen, haben den Namen nVidia oder ATi und die entsprechenden Markenbezeichnungen "GeForce" und "Radeon" trotzdem schon einmal gehört. Im Kampf um die Aufmerksamkeit der Medien brachte ATi die Radeon X800 XT-PE heraus, welche dann auch die meisten Benchmarks gewann. Einziger Haken: Man kann sie nicht kaufen. Die "Pro"-Version ist hingegen pipelinemäßig abgespeckt und angesichts des Preises kein wirklich guter Deal.
nVidia konterte die XT-PE mit einer "UE" (GeForce 6800 Ultra Extreme), die es dann aber doch nicht gab. Die hierzu benutzten Webseiten dürften sich dabei durchaus etwas veralbert vorkommen. In beiden Fällen handelt es sich um Nebelkerzen der Marketing-Abteilung, handselektierte Chips auf einzelne Boards verbauen zu lassen, um das angeblich schnellere Produkt vorzuweisen.
Geopfert wird auch wieder einmal jede Menge Texturqualität beim anisotropen Filter. Auch NV40 unterfiltert mit neueren Treibern standardmäßig. Immerhin bieten beide Grafikchip-Entwickler jetzt die Möglichkeit, im Treiber solche "Optimierungen" abzuschalten. Wollen wir hoffen, dass sich hier keine bedauerlichen Bugs einschleichen.
Vor lauter Ankündigungen kommt dabei keiner mehr dazu, etwas auch real auszuliefern. Sind Monate nach dem Launch vereinzelt Exemplare verfügbar, ist die Welt noch lange nicht in Ordnung. Ok, es hat sich auch einiges getan, die neuen Chips bieten einen gewaltigen Leistungssprung. Offenbar gingen beide großen Grafikchip-Entwickler an ihre jeweilige technisch beherrschbare Grenze.
Die Zeichen weisen darauf hin, dass dabei gewaltig Ausschuss produziert wird: Die GeForce 6800 und 6800LE basieren auf dem NV40, die GeForce 6200 auf dem NV43. Solide Planbarkeit einer Produktfamile sieht anders aus. ATi's Radeon X800 Pro scheint genau wie die GeForce 6800 wie eine Verlegenheitslösung zu sein, und die XT-PEs sind nach unserem Kenntnisstand immer noch eher Vaporware.
Dass die GeForce 6800 keine 16 Pipelines hat, steht irgendwo in einem PDF, aber nicht auf der offiziellen Produkt-Seite, die pauschal von einer "Superscalar 16-pipe GPU Architecture" spricht. Auch ATi bietet keine sofortige Klarheit über ihre 12-Pipelines Version Radeon X800 Pro, spricht aber generell von "World's Most Advanced 3D Architecture", was wir in Bezug auf die X800-Serie für irreführend halten.
III
Nur wenige haben zu viel Geld "überschüssig" oder sind gewillt, ihr Erspartes in teure VGA-Hardware anzulegen. Für die allermeisten Spiele ist denn auch aktuelle Mittelklassen-Hardware völlig hinreichend. Wir reden hier von einer Radeon X700 oder GeForce 6600. Doch wo bleiben diese Karten? Stattdessen wird schon wieder das nächste angekündigt: GeForce 6200, wobei es noch nicht einmal den eigentlichen Chip (NV44) dafür gibt. ATi weist zurecht auf die Rohperformance ihrer Radeon X700 hin - doch besser wären nüchtere Erfahrungsberichte von Usern, welche sich die Karte gekauft haben.
In unseren Artikeln versuchten wir, die Karten anhand ihrer Ausstattungsmerkmale einzuordnen. Damit es nicht bei Kaffeesatzleserei bleibt, benötigt man natürlich Hardware. Selbst wenn wir Pressemuster organisiert bekämen, der Leser hätte von dem Test nichts, wenn er weiterhin vergeblich zweimal täglich die Webshops auf der Suche nach kaufbaren Versionen abgrasen würde.
"Introducing", "Fastest in it's Class", "Image Quality" (sic!) – meine Meinung ist: Nicht reden, sondern machen.