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Raubkopierer sind Verbrecher

28. November 2003 / von Leonidas / Seite 1 von 2


Wie verschiedene Medien berichten, hat mit dem gestrigen Tage die deutsche Filmwirtschaft eine groß angelegte Abschreckungskampagne gegen Raubkopiererei gestartet. Mit teilweise drastischen Werbespots - und Plakaten will man dabei die Konsumenten daran erinnern, daß Raubkopien kein Bagatelldelikt sind und so eine öffentliche Diskussion zum Thema Raubkopien starten. Ob dies etwas bringen mag, darf allerdings bezweifelt werden - dafür dürfte die Kampagne zuviel Widerspruch hervorrufen, vor allem aufgrund der mit dieser verbreiteten, bewußt gelegten Falschinformationen und der gezielten Vermengung von gewerblichen und privaten Raubkopierern.

So wäre als erstes und wichtigstes zu erwähnen, daß die Kampagne von "Raubkopierern" immer nur im gewerblichen Sinne spricht - und auch allein dort gelten die von der Kampagne erwähnten bis zu 5 Jahre Freiheitsentzug in Deutschland. Private Raubkopien sind derzeit unseres Wissens nach immer noch keine Straftat und fallen demzufolge unter das Zivilrecht. Zudem verfolgt der Staat private Raubkopierer bisher nur höchst selten, eben weil deren Aktivitäten fast immer nicht unter das Strafrecht fallen.

Neben der rechtlich klaren Unterscheidung von gewerblichen und privaten Raubkopien unterscheiden sich jene auch in anderen Dingen absolut erheblich: Gewerbliche Raubkopierei ist prinzipiell klar zu verurteilen, wie jede andere Form der Produktpiraterie auch. Sofern diese Produkte zum gleichen oder ähnlichen Preis wie die Originale verkauft werden, stimmen in diesem Fall auch die von der Industrie gemeldeten Schadenssummen. Ausgerechnet jenes gilt jedoch bei den privaten Raubkopien mitnichten: Aus der Information, daß die gebrannte Filme des Jahres 2002 800 Millionen Euro wert gewesen seien, läßt sich nämlich nicht ableiten, daß damit ein regelrechter Schaden von 800 Millionen Euro für die deutsche Filmwirtschaft entstanden sei.

Die diese gern von der Film-, Musik- und Softwareindustrie vorgebrachte Simplifizierung trägt der Besonderheit von Daten absolut keine Rechnung. Eine Kopie von Daten ist nun einmal - insbesondere wenn sie von einer Privatperson durchgeführt wird - völlig kostenlos für den jeweiligen Urheber, sprich: Mit einer Kopie verliert er direkt kein Geld. Es ist demzufolge eine erhebliche Falschdarstellung, von einem Schaden in Bezug auf private Raubkopien zur sprechen, einzig allein richtig ist die Formulierung des potentiellen Verdienstausfalls. Dies ist insofern erheblich, als daß ein Schaden suggeriert, der Filmindustrie würde irgendetwas fehlen oder sie wäre durch Raubkopien gar existenzbedroht.

Das ist jedoch bei weitem nicht so: Trotz Filmen im Netz bereits vor deren offiziellen Kinostart und der größten Filesharing-Gemeide der Welt hat der US-Kinomarkt in den letzten Jahren regelmäßig neue Einnahmen-Rekorde verzeichnet. Nebenbei gesagt kosten heutige Blockbuster-Produktionen nicht so viel Geld, weil sie es müssten, sondern - man halte sich fest - weil das Geld schlicht vorhanden ist und nur darauf wartet, ausgegeben zu werden. Es war zwar sicherlich ein hohes finanzielles Risiko, runde 300 Millionen Dollar in die Produktion der "Herr der Ringe" Trilogie zu stecken, doch allein das Kinoeinspiel nur des ersten Teils reichte schon, um Gewinn zu machen (860,4 Millionen Dollar, davon fließen ca. 40-45 Prozent in die Taschen der Produzenten).

Mit den Einnahmen des Teils II und III könnte man allein an der Kinokasse einen Gewinn von geschätzten 700 Millionen Dollar erwirtschaften - noch vor den Einnahmen aus Verleih, Verkauf, Fernsehen (üblicherweise noch einmal der Betrag der Kinoeinnahmen oder mehr) sowie Merchandising (je nach Film äußerst unterschiedlich - Star Wars Episode I konnte hier als Spitzenwert 4 Milliarden Dollar erwirtschaften). Ohne den Merchandising-Bereich, weil dieser zu schwer zu taxieren ist, kann man die "Herr der Ringe" Triologie auf einen Reingewinn von 1,5 Milliarden Dollar schätzen - ein sattes Geschäft bei einem Einsatz von "nur" 300 Millionen Dollar.

Dies ist natürlich ein recht extremes Beispiel (nicht aber das extremste! - Titantic hat als einzelner Film schätzungsweise denselben Reingewinn abgeworfen), aber es soll drei Dinge verdeutlichen: Zum einen können sogar Flops in der langen Kette der Kinoauswertung noch auf eine schwarze Null kommen. Desweiteren lassen sich mit einem solchen Megaerfolg im Rücken gleich dutzende verlustreiche Flops produzieren. Und drittens schlußfolgert daraus, daß das größte Problem von Hollywood wohl eher ist, wohin das viele eingenommene Geld gehen soll :-). Schlecht kann es der Filmindustrie angesichts dieser Zahlen jedenfalls nicht gehen - daß insbesondere die Kinobetreiber immer wieder über schlechte Einnahmen klagen, hängt im Prinzip ausschließlich an den äußerst einseitigen Verträgen, welche jene von den Filmverleihern aufgezwungen bekommen.

US Box Office US Ticket Price
1993 5154,2 Mill. $ 4,14 $
1994 5396,2 Mill. $  (+4,7%) 4,18 $  (+1,0%)
1995 5493,5 Mill. $  (+1,8%) 4,35 $  (+4,1%)
1996 5911,5 Mill. $  (+7,6%) 4,42 $  (+1,6%)
1997 6365,9 Mill. $  (+7,7%) 4,59 $  (+3,8%)
1998 6949,0 Mill. $  (+9,2%) 4,69 $  (+2,2%)
1999 7448,0 Mill. $  (+7,2%) 5,08 $  (+8,3%)
2000 7661,0 Mill. $  (+2,9%) 5,39 $  (+6,1%)
2001 8412,5 Mill. $  (+9,8%) 5,66 $  (+5,0%)
2002 9135,0 Mill. $  (+8,6%) 5,85 $  (+3,4%)


1993-2002 +77,2% +41,3%

Nach dieser kleinen Exkursion zum Thema Einnahmen und Gewinn beim Film zurück zum Thema Raubkopien und deren Verlust-Wirkung: Faktisch erzeugt eine private Raubkopien bei den Urhebern/Verwertern keinen direkten Verlust - sie haben nach wie vor die gleiche Anzahl von Kopien in deren Lager liegen. Richtig ist jedoch, daß den Urhebern/Verwertern eine potentielle Einnahme verloren geht - der private Raubkopierer könnte den Film schließlich legal erstehen bzw. ausleihen oder im Kino ansehen. Also gehen den Filmverwertern doch jene 800 Millionen Dollar im Jahr durch private Raubkopien verloren?

An dieser Stelle muß ein mehrfaches "Nein" erschallen, denn die Eigendarstellung der Filmindustrie ist gleich in mehreren Punkten äußerst fehlerhaft:

  • Die Filmindustrie verweist zur Untermauerung ihrer "Verlust"-Zahlen gern auf die kürzlich vorgelegten Brennerstudie 2, welche das Ausmaß der gebrannten Filme in Deutschland verdeutlicht. Jene Studie erfaßt allerdings nur die gebrannten Filme, nicht aber, was davon legale oder illegale Kopien waren! Die Filmindustrie suggeriert hier also vollkommen fälschlicherweise, daß jeder gebrannte Film eine Raubkopie wäre, um die eigenen "Schadens"-Zahlen künstlich hochtreiben zu können. Davor, daß die mißverständlichen Zahlen dieser Studie für bewußte Fehlinterpretationen ausgenutzt werden würden, hatten wir im übrigen schon bei der Vorstellung dieser Studie gewarnt.

    So kann man beispielsweise Filme aus dem Fernsehen ganz legal aufnehmen und brennen, und auch Kopien von legal erworbenen Filmen sind, sofern bei der Kopieraktion nicht ein Kopierschutz umgangen wird, vollkommen legal. Ebenfalls wäre zu erwähnen, daß die Privatkopie in Deutschland nach wie vor existiert und man laut dieser auch Kopien von urheberrechtlich geschützen Werken anfertigen (sofern kein Kopierschutz umgangen wird) und an Bekannte und Verwandte verteilen darf. Vor deutschen Gerichten hat man sich im Laufe der Zeit auf bis zu 7 Kopien eingependelt, welche man legal anfertigen darf. Diesen gesetzlich verbrieften Vorteil der Privatkopie bezahlen wir im übrigen mit jedem Rohling und jedem Brenner, welchen wir kaufen, denn von deren Kaufpreis geht eine Urheberrechtsabgabe an die Verwertungsgesellschaften.

  • Ein sehr hoher Anteil von Raubkopien betrifft Filme, welche in Deutschland entweder schwer, gar nicht oder nicht in der gewünschten Fassung zu bekommen sind. All dies fällt für die Filmindustrie unter Einnahmenausfälle - was man schon als Beleidigung gegenüber dem letztlich glasklar unerfüllten Kundenwunsch verstehen kann. Denn jener Film-Liebhaber, welcher beispielsweise die ungeschnittene (und um 10 Minuten reine Action längere) Fassung von John Woo´s "Hard-Boiled" in Deutschland zu kaufen wünscht, schaut komplett in die Röhre - diese wird wie viele andere ungeschnittene Fassungen von Filmen und wie viele nicht-amerikanische Filme überhaupt nirgendwo angeboten.

    Sicherlich sind Raubkopien keine wirkliche Lösung dieses Problems. Doch einmal abgesehen davon, daß man als Bürger der drittgrößten Wirtschaft der Welt durchaus erwarten kann, daß alles, was man sich an prinzipiell legalen Gütern wünscht, in Deutschland selber (und nicht im Ausland) bestellt werden kann, ist auch der Import jener Filme nach Deutschland nicht immer möglich, da der deutsche Zoll jeden Film, welcher auf dem Index steht, ersatzlos beschlagnahmen kann. Eine Abhilfe würde hier nur ein breiteres Angebot der Filmindustrie in Deutschland bringen - und der Verzicht auf die Selbstzensur-Schere, nur um einen Film mit einem niedrigeren FSK-Rating irgendwie Massenmarkt-kompatibel zu machen.

    Faktisch läßt sich jedoch der Anteil dieser Filme, welche in Deutschland in den gewünschten Versionen nicht vertrieben werden, nicht der Raubkopierei oder gar dem "Schaden" für die deutsche Filmindustrie zurechnen: Denn das, was die deutsche Filmindustrie nicht anbietet, kann sie auch nicht verkaufen. Und wenn ein Filmliebhaber eine bestimmte Fassung eines Films wünscht, dann will er auch keine andere haben.

  • Man sollte die werbende Wirkung von Raubkopien nicht unterschätzen. Ähnlich wie bei Musik laden sich insbesondere Vielnutzer durchaus erst einmal einen Film in CD-Qualität herunter, um diesen dann - bei Gefallen - der eigenen Filmsammlung in DVD-Qualität mittels des legalen Kaufs eben dieser DVD hinzuzufügen. Sicherlich sind die heruntergeladenen Filme erst einmal Raubkopien, werden jedoch dann von den Anwendern danach quasi legalisiert bzw. wird zumindestens der Bezahlpflicht genüge getan. Demzufolge dürfte jede Statistik über reine Raubkopien (welche wie gesagt mittels der "Brennerstudie 2" mitnichten Fall vorliegt) auch einen nicht zu unterschätzenden Anteil an Raubkopien enthalten, welche dann letztlich doch gekauft werden.

Alle diese Informationen lassen die Argumentation der Filmindustrie fast schon wie das sprichwörtliche Kartenhaus ineinander einstürzen. Denn:

  • Die 800 Millionen "Schaden" sind kein Schaden, sondern potentielle Einnahmeausfälle. Sie werden allerdings dadurch gemindert, daß in dieser Summe in unbekannter Höhe sowohl legal gebrannte Filmkopien, als auch Kopien von in Deutschland nicht angebotenen Filmen als auch Raubkopien von letztlich später dann doch legal erworbenen Filme umfaßt. Da der Effekt dieser drei Einschränkungen nicht exakt ermittelt, aber als absolut erheblich eingeschätzt werden kann, fallen jene 800 Millionen Schaden bzw. Einnahmeausfall als Bemessungsgrenze ersatzlos weg. Die Wahrheit ist schlicht: Es gibt derzeit keinerlei Daten über den tatsächlichen Schaden oder auch, ob überhaupt einer existiert.

  • Und andererseits sind die Geschichten über die Bedrohung der Filmindustrie durch Raubkopien bloße Erfindung. Der Filmindustrie, genauer den Rechteinhabern, geht es blendend, die Umsätze und Gewinne Hollywoods stiegen in den letzten Jahren trotz des angeblichen Raubkopierer-Erffekts stetig. Nicht besonders gut geht es dagegen den Kinobesitzer - schuld sind hier aber deren schlechte Knebelverträge mit den Filmverleihern, sprich den großen Filmstudios. Während die Filmstudios immer größere Gewinne schreiben, bekommen die Kinobesitzer immer schlechtere Verträge von diesen vorgesetzt, mit immer weniger prozentualen Einnahmen an einem Film.

Was bleibt somit faktisch? Die Filmindustrie versucht mit ihrer Abschreckungs-Kampagne gegen Raubkopiererei nichts anderes, als den Normalverbraucher, die Öffentlichkeit sowie die Entscheidungsträger in der Regierung manipulativ mit einer Reihe teilweise übelster Falschargumente zu beeinflußen - dies ist letztlich keine Kampagne, sondern nichts anderes als Werbung, und dabei nicht einmal wahrheitsgemäße Werbung.

Daß die Filmindustrie in ihrer internen Beschreibung ihrer Kampagne diese auch an die gewerblichen Raubkopierer richtet, ist ein reines Placebo, um den drastischen Strafandrohungs-Ton der Kampagne rechtzufertigen. Doch keiner schaltet eine bundesweite Kampagne gegen ein paar hundert gewerbliche Raubkopierer, um diese zum Umdenken zu bewegen - dies wäre genauso, als würde die Polizei die Autoschieber-Banden aufrufen, doch bitte mit ihrem Treiben aufzuhören. Nein, diese Kampagne richtet sich allein und ausschließlich an die privaten Raubkopierer.

Gegenüber diesen argumentiert diese Kampagne dann jedoch nicht nur mit einem falschen Strafmaß (ist es nicht irgendwo verboten, wissentlich mit falschen Strafmaßen zu drohen?), sondern auch mit zusammengeschusterten Argumenten zur "Schadenswirkung" von privaten Raubkopien im Filmbereich, welche schon einer kurzen Oberflächenprüfung nicht standhalten. Den Beweis, daß es der Filmindustrie durch den Einfluß von Raubkopien schlechter geht als früher, ist man bis jetzt vollkommen eindeutig schuldig geblieben - dies dürfte angesicht von jährlich neuen Einnahmerekorden auch recht schwierig fallen.

Faktisch betreibt die Filmindustrie mit dieser Kampagne nichts anderes als Profitmaximierung: Der eigentliche Effekt soll wohl vor allem darin liegen, die Politik und die Öffentlichkeit sturmreif für die nächsten Urheberrechts-Änderungen zu schießen, welche dann auch private Raubkopien als Straftat werten würden (Deutschland im Jahre 2006: für bewaffneten Bankraub gibt es 2 Jahre, für eine private Raubkopie 5 Jahre). Und das Gedankenwäsche-Prinzip dieser Kampagne schlägt schon an, wenn man sich die Aussagen einer Staatsministerin anhört, welche - offenbar vollkommen geblendet von den Zahlen der Filmindustrie - gleich wieder über die vollkommene Abschaffung der Privatkopie nachdenkt.

Solcher Art Beeinflußung gilt es entschieden entgegenzutreten - wenn nicht jetzt, dann dürfte es wohl schon bald entgültig zu spät sein. Die unsachlichen Argumentation der Medienindustrie wie bei dieser Abschreckungs-Kampagne und auch die unseriöse Ausstellung der Brennerstudie 2, welche gebrannte Filme erfaßt, diese aber nicht in legale und illegale Kopien unterteilt und somit eine höchst fragwürdige Ausgangsbasis darstellt, muß schlicht so oft beim Namen genannt werden, bis es in der Politik wie auch in der Öffentlichkeit durchbringt, daß es noch eine andere Meinung neben jener der Medienindustrie gibt: Jene des Konsumenten.

Die Diskussion auf Basis rein von der Medienindustrie vorgebrachten Argumente muß ein Ende haben - auch die andere Seite sollte gehört werden! Dies gilt insbesondere für die Politik, von welcher es als ungeheuerliche Frechheit zu betrachten ist, ihre Informationen mittlerweile nur noch alleinig von Lobbyorganisationen oder gar der Industrie direkt zu beziehen, ohne aber auch nur die Spur von Hinterfragen dieser Informationen zu zeigen. So weit ich mich erinnern kann, ist die Regierung in diesem Land per Grundgesetz eine Vertretung des Volkes - und nicht allein der Industrie.

Demzufolge ist auch das verfassungsgemäß saubere Zustandekommen von Gesetzen, welche allein auf Basis von Lobbyinformationen begründet wurden, arg anzuzweifeln. Insbesondere die Politiker sind hiermit aufgerufen, endlich einmal den Dialog mit dem Bürger zu solchen Themen zu suchen - ansonsten droht man zum reinen Erfüllungsgehilfen einer allein auf Profitmaximierung ausgerichteten Industrie zu werden. Wie Bundespräsident Johannes Rau kürzlich schon so treffend sagte:

 

Wenn das nicht mehr gilt, dass die Wirtschaft für den Menschen da ist, sondern der Mensch nur noch für die Wirtschaft da ist, dann ist diese Welt nicht mehr menschlich - aber sie soll menschlich sein. Darum muss die Wirtschaft für den Menschen da sein und nicht umgekehrt.

 





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