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Schöne neue Flatrate-Welt - oder doch nicht?

28. November 2000 / von Leonidas


So einfach geht das! Die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) verkündet am 16. November, daß die Deutsche Telekom (DTAG) künftig ihren Konkurrenten einen Pauschaltarif für den Internetzugang (Großhandels-Flatrate) gewähren muß und die gesamte Offline-Medienlandschaft (als Vorreiter die ach so seriösen TV-Nachrichten-Programme) verkünden gleich, daß ab sofort die Preise für Flatraten in Deutschland sinken werden. Voila!

Tja, wenn es so ein Selbstläufer wäre, bräuchte ich diese Zeilen nicht zu schreiben. Aber leider funktioniert die doch sehr einfältige Rechnung der sicher hochbezahlten Medienleute in der Realität überhaupt nicht. Wahrscheinlich ist deren Gehalt noch zu niedrig bemessen, bei entsprechender Aufstockung ;-)) würde man eventuell auch die nachfolgende Milchmädchen-Rechnung aus dem Ärmel schütteln können:


Nehmen wir einmal den Widerstand der DTAG gegen diese Entscheidung der RegTP aus dem Spiel, wie da z.B. die sogenannten "technischen Schwierigkeiten" oder sich über Monate (Jahre) hinziehender juristischer Widerstand. Nehmen wir weiterhin an, die RegTP setzt sich irgendwann durch und die DTAG muß ihren Konkurrenten eine Großhandels-Flatrate anbieten. Die Frage ist nur: In welchem Umfang? Die RegTP hat sich in der Vergangenheit in den Detail-Entscheidungen meist als ziemlich beeinflußbar seitens der Telekom gezeigt. So wird es sicher zu einer Großhandels-Flatrate kommen, aber zu einer nach DTAG-Konditionen.

Die DTAG wird denn ziemlich einfach nachweisen können, daß eine Großhandels-Flatrate für sie nur wirtschaftlich ist bei ca. 150 DM im Monat. Momentan zahlt jeder Provider an die DTAG im besten Fall ca. 2,0 Pfennig pro Minute zur Tageszeit und ca. 1,3 Pfennig pro Minute zwischen 19 und 8 Uhr bzw. am Wochenende/Feiertags - egal, wie die eigene Preisstruktur ist (Update). Wenn die Telekom nun die Rechnung aufmacht, daß Flatrate-Benutzer problemlos fünf Stunden am Tag im Internet sind, würden sich die "Kosten" für die DTAG schon auf ca. 150 DM belaufen. Nicht eingerechnet das Wagnis, es sind anstatt fünf eventuell sechs (ca. 180 DM) oder mehr Stunden und auch nicht eingerechnet der eventuell notwendige Leitungsausbau, welcher zum größten Teil auf der Telekom liegen würde.

Hier setzt dann die Schwäche der RegTP an - das sind Beamte ohne Blick für das eigentliche Ziel. Das diese Minutenpreise (Interconnectiongebühren) eigentlich viel zu hoch angesetzt sind, kann keine Behörde mitbekommen, so lange es keine echte Konkurrenz auf der letzten Meile gibt (oder man den Blick ins Ausland wagt). Damit wird die Telekom gegenüber der RegTP ihre Rechnung durchziehen können, ohne größeren Widerstand bezüglich der Berechnungsmethode befürchten zu müssen. Der RegTP geht es darüber hinaus im wesentlichen nur um den Begriff "Großhandels-Flatrate", dies ist ihr alleiniger Auftrag. Das dieselbige eigentlich nur sinnvoll unterhalb von 100 DM ist, ist keine Entscheidung der RegTP. In der Vergangenheit hat sich immer wieder gezeigt, daß die DTAG nur ihre Kalkulationen vorlegen muß und die RegTP sich weitestgehend auch daran hält. Nur das die DTAG den Teufel tun wird, eine Kalkulation mit einem Kunden-orientierten Preis herauszugeben - man nimmt so viel, wie man kriegen kann ...

Zusammen mit vorheriger Rechnung wird die Deutsche Telekom den anderen Providern wohl eine Großhandels-Flatrate von 150 bis 200 DM anbieten - ich wage dabei gar nicht an die durchaus vorhandene Möglichkeit zu denken, daß dieser Preis noch höher angesetzt werden wird. An diesem Punkt wird logischerweise ein Sturm der Entrüstung durch die Medienlandschaft gehen, die einen werden mit der Bedrohung des Internet-Standorts Deutschland argumentieren, die DTAG wird dagegen ihre schon vorhin genannte Kostenrechnung zitieren. Die Fronten werden sich wie üblich verhärten, letztendlich muß dann die RegTP aufgrund Gesetzesauftrag als Schlichter eingreifen. In dieser Funktion wird sie aber beide Seiten anhören, sowohl die anderen Provider als auch die Telekom. Und dann einen Mittelweg, einen Kompromiß wählen - und der wird nicht unter 100 DM Großhandels-Flatrate liegen!

Mal ganz abgesehen davon, daß diese Entscheidung mit allem zu erwartenden juristischem Hickhack sicher wesentlich länger dauern wird als das anvisierte Ziel vom Februar 2001, entscheidend ist das sich daraus ergebende Bild für den Flatraten-Markt in Deutschland: Denn mit einer Großhandels-Flatrate von 100 DM oder mehr kann kein freier Provider seinen Kunden einen Preis von unter 120 DM anbieten - es sei denn, er nimmt bewußt Verluste in Kauf. Und dies wird einiges umwerfen von dem, was wir bisher eigentlich schon auf der Habenseite wähnten. Dazu kurz der Blick auf die aktuellen preislich sinnvollen Flatrate-Angebote (unter 150 DM, keine Volumenbegrenzung, keine Zeiteinschränkungen, auschließlich bundesweite Angebote): Wir haben aktuell nur drei Flatrate-Anbieter! Zum einem die Telekom-Tochter T-Online mit 79 DM, dann die allseits beliebte AOL für 78 DM und - ganz neu - Canaletto für 99 DM. AOL ist nicht jedermanns Sache, weil Online-Zocken mit der - momentan noch - nicht umgehbaren Sinnlos-Software mehr oder weniger unmöglich ist.

Was wird passieren, wenn man sich auf eine Großhandels-Flatrate von 100 DM einigt? Neue Flatrate-Anbieter könnten dem Endkunden minimal 120 DM + anbieten - wahrlich kaum eine Bewegung im Flatrate-Markt, ganz sicher nicht in preislicher Hinsicht. Ob die drei momentan günstigeren Anbieter ihre Preise entsprechend freiwillig erhöhen, wäre abzuwarten. AOL, T-Online und Canaletto werden aber spätestens von den Wettbewerbshütern gezwungen werden, ihre momentan niedrigen Preise nach oben hin zu korrigieren, wenn die Großhandels-Flatrate - wie zu erwarten - teuer wird als die bisherigen Angebote dieser Anbieter.

Denn die anderen (neuen) Provider werden einen offensichtlich ruinösen Wettbewerb der Telekom und von AOL, welche die Verluste im Flatrate-Geschäft mittels der Einnahmen von den normalen Minutentarifen sanieren, nicht dulden. Momentan geht das noch durch, weil die Interconnectiongebühren der Telekom ja minutenabhängig sind und man je nach Bedarf verschiedene Rechnungen aufmachen kann: Es existiert kein eindeutiger Beweis, daß AOL und T-Online bewußt unter den eigenen Kosten verkaufen. Sollte es allerdings zu einer Großhandels-Flatrate kommen, kann kein Provider seine Preise für die Endkunden unterhalb dieses Großhandelspreises legen - eine Flut von Klagen vor allen Wettbewerbsgremien würde das ziemlich schnell wieder stoppen.


Daraus ziehe ich folgende Erkenntnis: Die Großhandels-Flatrate in Deutschland kommt - allerdings mit höherer Wahrscheinlichkeit wird sie teurer ausfallen als die bisherigen Flatrate-Preise an den Endkunden. Das hat zur unmittelbaren Folge, daß neue Flatrate-Anbieter dann nur noch auf Grundlage dieser hohen Großhandels-Flatrate anbieten können und daß die bestehenden Angebote in diese Preisregion gezwungen werden: Ergo wird die Flatrate in Deutschland teurer - bei allen Anbietern! Der Vorstoß von Politik und RegTP wird ganz genau das Gegenteil von dem erreichen, was die Medien schon gefeiert und was die Internetnutzer in diesem Land sich erhofft haben. Anzunehmen sind dabei die schon erwähnten 120 DM als untere Grenze - es kann aber auch noch schlimmer kommen. Von den 80 DM, welche momentan die meisten von uns für ihre Flatrate bezahlen, werden wir uns wohl verabschieden können.


Damit sind wir natürlich Lichtjahre entfernt von einem Internet-Zugang, welcher dem "Internet für alle" in Deutschland endlich einmal zum Durchbruch verhelfen würde. Dafür müßte der Preis unterhalb von 50 DM liegen - und das für den Endkunden! Das wir dies im Jahre 2000 des Herrn immer noch nicht erreicht haben, ist eigentlich ein Armutszeugnis für dieses Land. Und wieder einmal ist unsere Politik gefragt, etwas sinnvolles zu unternehmen. Einziges Problem der Politiker: Tolle Reden schwingen und sich feiern lassen - ja, etwas tun - nein. He - das kenne ich aus alten Ost-Zeiten!

Und das ist kein üblicher Spruch aus allgemeiner Politikverdrossenheit. Unsere Regierung hat überhaupt kein Interesse an einer günstigen Flatrate in Deutschland. Denn: Die Deutsche Telekom würde an dieser Minus machen, wohl sogar kräftig Minus machen. Darüber, daß dies eigentlich selbstverschuldetetes Elend ist, weil die DTAG in ihrem Monopolismus-Wahn den entsprechenden Ausbau vernachläßig hat, redet im übrigen mal wieder keiner. Aber de facto würde allein die Ankündigung einer wirklich günstige Großhandels-Flatrate (unter 70 DM) den Aktienkurs der DTAG um einiges drücken. Wenn es dann ein halbes Jahr später auch noch die ersten Zahlen der DTAG unter Einfluß der niedrigen Großhandels-Flatrate gibt, würde der Kurs noch einmal sinken und vor allem das sehr wichtige Kursziel dauerhaft gedrückt werden.

Unabhängig davon, was die DTAG zwischenzeitlich an Höchstleistungen zur Steigerung des Börsenkurses unternimmt - einen gewissen Kurs-Verlust wird es durch eine für die Endverbraucher günstige Großhandels-Flatrate auf jeden Fall geben. Allein eine solche negative Ankündigung schreckt heutzutage die Börsianer ja zu Tode. Und im Fall der DTAG ist nach wie vor der Staat der größte Aktieninhaber - und dieser kann durch eine billige Flatrate also Milliarden DM an der Börse verlieren. Logisch, daß Anspruch einer billigen Flatrate für die Bürger und Wirklichkeit beim Aufrechterhalten der DTAG-Einkommenspfründe bei unserer Regierung weit auseinandern driften.

Hier wäre in der Politik ein Mann (oder eine Frau) der Tat gefragt: Sagt uns doch, daß Ihr den Aktienkurs der DTAG nicht belasten wollt für eine günstige Flatrate in Deutschland!. Das wären zumindestens klare Verhältnisse. Momentan versucht unsere Regierung den Bürgern weißzumachen, daß man etwas tut und hintenrum wird genau das Gegenteil getan. Für irgendwas muß man sich irgendwann entscheiden: Entweder günstige Flatrate oder hoher Telekom-Kurs. Beides kostet Geld - ersteres direkt und letzteres in der Zukunft, wenn Deutschland immer weiter den Internet-Anschluß verliert.


Update zu den Interconnectiongebühren:

Ab dem 15. Dezember gelten einheitlich 1,7748 Pfennig pro Minute (alle Zahlen in diesem Artikel sind immer inklusive Mehrwertsteuer). Bei 5 Stunden täglich online ergibt das 160 DM im Monat, bei 6 Stunden 192 DM im Monat. Die komplette Entscheidung der RegTP ist hier nachzulesen. Thx @ Andree "PrimeTime" Damke für die Korrektur.






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