Kolumne: Video-Gemetzel im Kinderzimmer
15. November 2004 / von aths / Seite 1 von 1
Ein heuchlerisches Spiel: Medien regen sich über Gewaltspiele auf – und tun dabei so, als diene diese "Berichterstattung" der Aufklärung, und nicht eher als Aufmacher. Tatsächlich sind die "Reportagen" eher so zu sehen wie ein Film über die Pornoindustrie - ein Vorwand, um schon am Nachmittag ein paar Nackte zeigen zu können.
I
Das Internet ist in Verruf: Als Tauschstätte von Kinderporno und als Anleitung zum Bombenbau. Nur langsam verschwindet dieses verzerrte Bild aus den Medien, wahrscheinlich nutzt der eine oder andere Redakteur das Internet inzwischen auch privat und hat (vielleicht zu seiner Enttäuschung?) dort gar keine Kinderpornos gefunden.
Fremde Kulturen stoßen auf Ablehnung. Wenn sich Menschen versammeln, virtuell im Netz oder in der Realität, zum Beispiel beim P'n'P Rollenspiel, scheinen andere Angst zu kriegen. Beim P'n'P fliehen die Spieler in eine Fantasiewelt – und metzeln dort in der Regel böse Monster. Manchmal spielt die Gruppe aber böse Abenteurer, und bestehlen oder ermorden rechtschaffendes Stadtvolk. Wohl gemerkt, in der Fantasie.
Wie schlimm natürlich, dass diese armen Leute so aus dem Leben in eine Traumwelt fliehen, anstatt sich abends von Talkshows berieseln zu lassen (und morgens die "BILD" zu lesen). Überhaupt, das zeugt ja auch keinesfalls von Sozialkompetenz, sich über ein komplexes Regelwerk zu einigen und miteinander in einer reinen Fantasiewelt zu interagieren. Doch kommen wir zum Thema: Computerspiele, die explizite Gewaltdarstellungen zeigen.
Was machte zum Beispiel Counter-Strike so beliebt? Das "Töten", oder die taktischen Möglichkeiten? Haben die Herren Redakteure in ihrer Kindheit nie Cowboy und Indianer gespielt – und sich dabei "erschossen" ("Du musst jetzt liegen bleiben, du bist tot.")?
II
Vor einigen Jahren ging der (übrigens unter Verletzung des Urheberrechts) gerippte Mitschnitt einer Sendung vom "Report Mainz" durch das Netz. Man sieht die Kamera auf einen Computer gerichtet, und hört den Ansager: "Und: Mord per Mausklick. Die brutalen Computerspiele unser Kinder." Schnitt ins Studio. Ohne große Einleitung liest der Moderator vom Telepromtper ab: "Meistens passiert es im Kinderzimmer. Maschinenpistolen werden auf (Kunstpause ...) Menschen gerichtet, ein Feuerstoß, Blut spritzt." Nun, das ist ja schrecklich!! Der nach Gewalt gierende TV-Zuschauer hat jetzt einen Grund, Report Mainz zu gucken, denn natürlich muss er darüber aufgeklärt werden.
Ich halte es für bedenklich, wie wenig über den Tod reflektiert wird, der zuhauf in Filmen vorkommt. Da werden fix ein paar Menschen erschossen, die Handlung hetzt weiter. Das scheint gesellschaftlich akzeptiert zu sein. Natürlich bin ich für Jugendschutz, doch er muss in unsere Zeit passen. In "Star Wars" Episode 4 wird der Todesstern zerstört – womit viele Unschuldige (z. B. Gefangene des Imperiums) sterben. In "Payback" foltert der Hauptdarsteller Menschen, und diese Szenen sollten lustig wirken. Das wird ohne Diskussion hingenommen. Doch dann dieser Aufstand um Computerspiele.
Primär stellte der "ein Feuerstoß, Blut spritzt"-Beitrag CS-Spieler als Deppen da, die eigentlich kein RealLife mehr haben. Um den Anschein von Seriösität zu wahren, kamen auch Spieler zu Wort, allerdings waren ihre Statements mit den Äußerungen anderer Experten so in eine Reihenfolge gebracht worden, dass die Argumente der Spieler weitgehend entkräftet wurden. Letztlich wurde dem Zuschauer suggeriert, dass die "brutalen Computerspiele" jene armen Kinderseelen kaputt machen.
Nun spielen aber nicht alle Kinder so etwas - entweder mögen sie es, oder nicht. Aussagekräftige Studien zur Auswirkung der brutalen Spiele auf die Kinder sind mir nicht bekannt. Wer die Eltern wachrütteln will, müsste sie zunächst dazu bringen, dass sie sich nicht mehr jeden Action-Mist im TV reinziehen. Und dass sie mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen und sich für die Interessen ihrer Kleinen interessieren, anstatt nur zu verbieten, was nicht in ihre eigene Welt passt.
Der neueste Aufreger kommt von "Frontal 21" aus dem ZDF. Auch hier wird leider vieles durcheinander gebracht. Was wirklich verbittert, ist – wieder einmal – die falsche Verwendung des Begriffes "Mord". In den meisten Spielen schießt man aus Notwehr. Es handelt sich in der Regel bestenfalls um Totschlag. Ist das eine scheinbar kleinkarierte Differenzierung?
Natürlich nicht. In vielen Filmen erschießt der Held massenhaft Leute, nicht immer handelt es sich dabei um seine letzte Option, sein eigenes Überleben zu sichern. Da redet Frontal 21 nicht von Mord. Darüber redet Frontal 21 in diesem Beitrag gar nicht. Aber auch Report Mainz sprach ja schon vom "Mord per Mausklick" und schnitt aus den aufgezeichneten Äußerungen genau das in die Sendung, was zur Untermauerung der Redaktionsmeinung passte.
Beim ZDF düfen jetzt sogar bekannte Experten wie Schönbohm und Beckstein ihren geistigen Höhenflüge in der Sendung verbreiten. Ihr Lieblingswort: "Verbot". Da frage ich mich, warum es kein Verbot für inkompetente Innenminister gibt.
III
Laut ZDF ist Max Payne 2 ein "Killerspiel". In der Tat – ein absoluter Killer, das Spiel. Es stimmt auch, dass (was bei Shootern so üblich ist) das Schießen an erster Stelle steht. Es stimmt aber nicht, dass der Spielinhalt "das Töten" sei. In der Story ermittelt Detective Payne in einem Kriminalfall. Natürlich steht die Story nur als Fassade, um durch den Reaktionsteil (das Schießen) des Spieles zu leiten. Doch täglich berichten die TV-Sender aus den weltweiten Krisengebieten ("informieren" uns) - und da kann man natürlich ein übersteigertes, verzerrtes Tötungs-Spiel mit fast schon comicmäßigen Charakteren keineswegs gutheißen.
Wer "Heute" mit der "Tagesschau" vergleicht, wird feststellen, dass das ZDF tendenziell einen größeren Erklärungsdrang hat als die ARD. Die Redaktionsmeinung scheint beim Zweiten, mit dem man vorgeblich besser sieht, ausschlaggebend zu sein. Natürlich darf eine Redaktion ihre Meinung zum Thema äußern, allerdings steht "Reportage" für "Tatsachenbericht", im Vordergrund dürfen nur die Tatsachen stehen. Handelt es sich um ein schwieriges Thema wie dieses, muss die Redaktion auf Ausgewogenheit achten, alle relevanten Seiten müssen gleichberechtigt zu Wort kommen. Wer sich wie Frontal 21 zu "Politik und Zeitgeschehen" äußert, ist auf Glaubwürdigkeit angewiesen. Diese wird mit suggestiven Methoden aber verspielt.
Die USK darf sich im ZDF-Report über die Gewaltspiele äußern, und das tut sie fachgerecht. Kein Wunder, schließlich sind das die einzigen in dem Beitrag, die wissen worum es geht. Die haben diese Spiele selbst gespielt und darüber nachgedacht. Frontal 21 setzt aber These und Antithese in eine Reihenfolge, dass die USK als verantwortungslos erscheint. Zitate jugendlicher Spieler werden aus dem Kontext gerissen, und wie gewohnt greift man sich beim ZDF nur das an Meinungen raus, was man gerade braucht.
Kurz nach der Einleitung, in der Doom 3 erwähnt wird, heißt es von der Redaktion: "Erfurt vor zwei Jahren: Im Blutrausch tötet ein Schüler Lehrer und Mitschüler, wie im Computerspiel. Der Täter war begeisterter Nutzer dieser Gewaltspiele." Ich bin ziemlich sicher, dass er in den 24 Stunden vor der Tat auch Brot gegessen hat. Warum fällt das unter den Tisch? Doch ernsthaft, war er verrückt, weil er "diese Gewaltspiele" spielte, oder spielte er diese Spiele, weil er verrückt war? Wenn Psychopathen "diese Gewaltspiele" spielen, haben dann gleich alle Fans von Gewaltspielen einen Knacks?
Warum wird das bei Frontal 21 nicht diskutiert? Warum tötet er in der Schule, während die Computerspieler (wenn auch nur virtuell) morden? Ha, die schlauen Herren formulierten ja so: "Im Blutrausch tötet (er) ... wie im Computerspiel". Vielleicht hätte er besser wie beim Texas Kettensägenmassaker töten sollen? Lösung à la Frontal 21: Solche bösen Computerspiele verbieten.
Vielleicht sollte man auch das Kinderkriegen verbieten, schon hätten die Produzenten von Kinderpornos kein Betätigungsfeld mehr.