Kolumne: Half-Life 2 - Die Enttäuschung
27. März 2005 / von aths / Seite 1 von 2
Obwohl ich Half-Life 1 lange ignorierte und mir das Spiel erst für Counter-Strike 1.2 kaufte, war ich trotz des Alters von Half-Life von diesem Spiel angetan und halte es aus der Retroperspektive gesehen für wegweisend.
I
Half-Life 1 war neu. Nicht nur grafisch, hier war die extrem aufgepeppte Quake1-Engine eigentlich "nur" zeitgemäß, aber die 3D-Technik endlich wurde sinnvoll genutzt: Das Spiel bot eine echte Handlung. Man hatte das Gefühl, wirklich in eine andere Welt versetzt zu sein und mit seinen Taten den Lauf der Dinge zu beeinflussen. Das war bei 3D-Shootern höchst ungewöhnlich, vorher bestand die einzige Interaktion mit computergenerierten Spielercharakteren nur darin, sie umzunieten. Half-Life bot Neuerungen, welche das Genre prägten. Der Nachfolger versucht nun, daran anknüpfen.
Weil Half-Life gut war, kaufte ich – vor knapp zwei Monaten – Half-Life 2. Die GeForceFX 5900 XT war bereits durch eine GeForce 6600 GT ersetzt. So hoffte ich, auch angesichts meiner 1024 MiB Arbeitsspeicher im PC, auf vollen Spiel- und Grafik-Spaß.
Die Installation: Obwohl das Spiel auf einer DVD ausgeliefert wird, muss man es komplett installieren. Warum reicht es nicht, dass nur Spielstände auf der Festplatte abgelegt werden? Nun gut, auch andere Spiele verlangen oft nach einer Komplett-Installation. Und immerhin: Das Spiel liegt als DVD vor, so dass man nicht nacheinander viele CDs einlegen muss.
Während des HL2-Setups gab es keinen Fortschritts-Balken. Man sah nur nichtssagende Dateinamen und nichtssagende Zahlen. Ein Fortschrittsbalken bei Software-Installationen ist seit Windows 3.1 Zeiten jedoch eigentlich Standard.
Anschließend der Steam-Prozess: Die Steam-Software ansich ist trotz 1024 MiB RAM träge und behäbig. Vielleicht liegt das ja auch am Rechner, bei dem die letzte Windows-Installation ungefähr ein Jahr her ist. Jedenfalls legte ich, um Half-Life 2 spielen zu können, einen Account an, der von Steam "Abonnement" genannt wird. Wieso Abo? Ich habe ein Spiel gekauft und will es aktivieren und nichts abonniert haben. Valve erweckt mit diesem Vorgehen die Vertrauenswürdigkeit einer Zeitungs-Drückerkolonne.
Ehe ich Half-Life 2 endlich starten konnte, vergingen noch mal fast zwei Stunden. Erst wurden Dateien entschlüsselt, dann wurde irgendwas aus dem Netz nachinstalliert (worüber mich Steam nicht weiter aufklärte) und dann wurde Half-Life 2 geupdated. Oder so ähnlich, denn was da wann zu welchem Zeitpunkt wirklich ablief, liegt für mich im Dunklen. Die Entscheidung, den Patch vielleicht nicht installieren zu wollen, wurde mir abgenommen: Es gab keine Rückfrage.
Es gibt ja auch Internet-Provider, die die MSIE-Titlebar ändern, so dass der Providername inklusive Werbespruch in jeder IE-Titlebar steht, und der eigentliche Webseiten-Name meistens abgeschnitten wird. Ebenso ruft solche fragwürdige Provider-Software grundsätzlich die eigene Startseite auf - egal, was man als Homepage eingestellt hat. In solchen Fällen besteht jedoch immerhin die Möglichkeit, den Provider zu wechseln.
Half-Life 2 gibt es dagegen nur mit Steam. Und Steam verlangt nach einer Internet-Verbindung. Was hat das nun gebracht? Gibt es wirklich keine Möglichkeit, Half-Life 2 unerlaubt zu vervielfältigen und zu spielen? Valves Maßnahmen zum berechtigten Schutz ihres Produktes legen dem Raubkopierer zwar einige Steine in den Weg. Aber ohne TCPA (wie es dann auch immer heißen wird) sind solche Mechanismen wohl ein größeres Ärgernis für ehrliche Kunden als Hindernis für den kriminellen Kopierer. Solche Gedanken gehen im Kopf herum, wenn man bei dem Installationsprozess stundenlang warten muss ...
Doch dann, endlich: Der Start. Zunächst ein merkwürdiges Valve-Logo mit Sound, wo die Copyright-Notizen wahrscheinlich länger eingeblendet werden als das eigentliche Logo. Dann lädt das Spiel. Minuten vergehen ... einen Fortschrittsbalken sucht man auch hier vergebens. Ich gehe mir einen neuen Kaffee kochen, und dann endlich sieht man das Menü - der Computer war also doch nicht abgestürzt. Na, dann kanns ja losgehen ...
II
Ich, Gordon Freeman, fahre mit der Bahn zu einem Bahnhof, und werde dort ständig von Wachleuten mit ihrem Elektro-Schocker gehauen. Wieso das? Was ist das für eine Art im Umgang mit alleingelassenen Mitmenschen, die zu einem Bahnhof bestellt und nicht abgeholt wurden? Was ist das hier für eine seltsame Stadt? Und wieso erklärt mir keiner was? "The right person in the wrong place" ist alles, was ich weiß. Also sehe ich mich erst mal um.
Schließlich treffe ich einen, der dort Undercover ist und sich mit mir treffen wollte, und mir rät, schleunigst den Raum zu verlassen. Natürlich untersuche ich erst mal, seelenruhig, die Gegend. Tatsächlich: Nachdem Barney seinen Vorrat an Mahnungen, mich doch bitte zu beeilen, aufgebraucht hat, beginnt er mit den Sprüchen von vorne. Es gibt keinen Zeitdruck. Gut, wir sind ja auch praktisch noch im "Trainingslevel". Dann aber bitte nicht so tun, als gäbe es Zeitdruck, wenn es gar keinen gibt.
Nachdem ich aus der Vorhalle zur Stadt gefunden habe, das gleiche: Die Leute haben einen kleinen Vorrat an Sprüchen, die sie abspulen. Gut, das ist bei Doom 3 auch nicht anders. Dafür weiß man bei der durchsichtigen Doom-Story immer, was zu tun ist. Nicht so bei Half-Life 2: Als sich die Türen zur Stadt, die keinen Namen hat, öffneten (nur ganz wenige werden diese Anspielung verstehen) hatte ich in Half-Life 2 das erste mal das Gefühl, in einem NexGen-Spiel zu sein. Es war aber gleichzeitig das letzte mal.
Der Typ auf dem Bildschirm liest und kommentiert ständig den selben Brief, den er erhalten haben will. Während ich die Stadt erkunde, höre ich ständig das gleiche. Das beginnt mit der Zeit einfach zu nerven. Bei den Fernsehsendungen in Max Payne wird die eigentliche Nachricht nur einmal vorgespielt, dann kommt entweder Bildrauschen oder eine unendlich lange Werbepause. Das wirkt natürlich nur umso stärker wie gescriptet (weil es schließlich gescriptet ist). Aber immer die gleiche Meldung in einer Endlosschleife zu bringen, wirkt in einem Möchtegern-NextGeneration-Spiel nicht gerade realitätsnah.
Die Barrieren in der Stadt erfüllen natürlich die Funktion, die Bewegungsfreiheit einzuschränken. Das ist so offensichtlich, dass das Gefühl, sich in einer eigentlich viel größeren Welt zu befinden, erheblich leidet. Ein einzelnes Level ist recht klein, ständig wird man zu langen Wartepausen gezwungen. Der einige Level später mühsam aufgebaute Verfolgungsdruck leidet darunter erheblich. Einen Fortschrittsbalken gibts in den Ladepausen wieder einmal nicht. Dabei sollte das technisch möglich sein, denn beim Spielstart und Spielstand-Laden sieht man den Ladebalken.
Max Payne 2 bietet nicht den hohen Detailgrad in der Spielwelt, aber man kann sich dort über deutlich längere Zeit in einem Gebiet aufhalten. Damit wirkt die Welt auf mich größer und glaubwürdiger, obwohl das Spiel genauso strikt linear ist. Bei Half-Life 2 hetzt man hingegen am Anfang von Ladepause zu Ladepause, sofern man nicht in der unübersichtlichen Welt herumirrt, um den Weg zum Ausgang zu finden. Ein echtes NexGen-Spiel könnte bei genügender RAM-Ausstattung das nächste Level bereits während des Spiels vorladen. Man müsste dann nur noch warten, bis die neuen Texturen auf die Grafikkarte geschoben wurden. Wozu hat man eigentlich sonst 1024 MiB RAM? Gut, World of WarCraft hat deutlich weniger grafische Details, aber hier kann man beinahe ohne jeden Laderuckler einen kompletten Kontinent durchstreifen.
Fast noch schlimmer als diese technischen Schwächen sind die ständigen Anbiederungen an HL1-Spieler. Alle Typen erwähnen ständig Black Mesa und erinnern sich an mich, Gordon Freeman - ob ich die nun wirklich getroffen habe, oder nicht. Natürlich bekomme ich genau die Brechstange, die ich in Black Mesa verloren habe. Toll! Black Mesa, oh ja, Black Mesa, das waren noch Zeiten, und jetzt darf ich endlich den Nachfolger spielen ...
Als das Teleport-Experiment schief geht, landet man zweimal kurz im Raum dieses weißbärtigen Masterminds. Das ist zwar witzig, aber unlogisch. Logik sucht man jedoch generell vergebens: Nach dem Greifen des Schutzanzuges sieht man endlich mal seine Hände. Greift man einen Gegenstand, um ihn vor sich herzutragen, schwebt dieser jedoch frei im Raum. Warum sieht man nicht, wie er angefasst wird? Das sind gar-nicht-mal-so-Feinheiten, die ich erwarte.
Die Kämpfe üben auf mich keinen Reiz aus - hektisches Geballer ohne Coolness. Das macht Max Payne besser, die Auseinandersetzungen mit Schusswaffen haben dort deutlich mehr Stil. Außerdem wird da mit den Zwischensequenzen gezeigt, was Max gerade macht. Man kann seine (eigenwillige) Ermittlungsarbeit nachvollziehen, und wird nicht einfach in eine Gegend geschubst, wo einem keiner was erklärt.
In der mit Flugkameras überwachten, von Spitzeln durchsetzten Stadt gibt es natürlich ein funktionierendes Netz aus Verbindungsleuten, welches mir hilft. Die Wachen haben nichts besseres zu tun, als sich erschießen zu lassen, während sie mit Spielzeugpistolen herumfuchteln. Diese Zungen-Sauger, die an der Decke hängen, erweisen sich noch als größeres Ärgernis. Leider sieht jeder dieser hungrigen Schlünder exakt gleich aus - und mit der Zeit nervt es nur noch.
Gleiches gilt für Schusslöcher: Es ist egal, ob ich mit einer Schusswaffe oder dem Brecheisen die Wand malträtiere, der Einschlag sieht gleich aus. Das hat schon Max Payne 1 in den Griff bekommen. Auch ist dort der Gedanke, dass es sich um einen Shooter handelt, besser in Szene gesetzt: Vor wichtigen Gefechten ändert sich die Musik, die Gegner kennen mehr Bewegungsvariationen, und sie verzerren ihr Gesicht.