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Kolumne: Half-Life 2 - Die Enttäuschung

27. März 2005 / von aths / Seite 2 von 2


 III

Das gute vorneweg: Half-Life 2 läuft flüssig, entgegen den früheren Befürchtungen, ohne HighEnd-Rechner keine flüssige Grafik zu bekommen. Die Grafik-Geschwindigkeit wurde jedoch mit einer Vielzahl an Kompromissen erkauft.

Gleich zu Beginn fallen mir heftige Aliasing-Artefakte ins Auge. Die Metallstangen in der Bahn sind, geht man nahe an sie heran, sehr schön gestaltet. Nur wurde übersehen, dass man die vielen feinen Streifen auf Entfernung nicht mehr auflösen kann, was in Geflimmer resultiert. Wenn schon fein aufgelöste Effekte, dann bitte zum Vorteil.

Aber davon keine Spur. Fast alles flimmert: Bäume, Reklame auf Häusern, Eisenbahn-Schienen aus Entfernung betrachtet, ebenso Fensterbalken ... und durch die seltsamen Verzerrungen der Straßenbarrieren flimmert es auch. Das gleiche bei der Glastür: Geht man nahe heran, sieht der Verzerrungseffekt gut aus. Aus größerer Entfernung und vor allem in Bewegung flimmert es. Der Glastür-Effekt wurde mehrfach eingesetzt, immer wieder eine Beleidigung für das Auge.

Der Begriff "Antialiasing" scheint zudem bei Valve generell unbekannt. Ich spiele mit Untertiteln, und der Font wird nicht geglättet. Das kann ja wohl nicht wahr sein!

Gerade diese Feinheiten sind es, eigentlich keiner Erwähnung wert, weil sie selbstverständlich beachtet werden sollten, die den Spaß reduzieren. Die Schrift ist bei Wiedergabe fremder Gespräche kursiv, gerade dann ist Glättung wichtig. Entweder hat Valve kein QA-Department, oder die dortigen Leute haben seit 1998 keine aktuelle PC-Grafik mehr gesehen.

Der Lichtschimmer-Effekt auf dem Boden ist zunächst ganz nett. Doch auch hier gab es kein Bewusstsein, das Flimmern zu unterdrücken: In der Ferne ist es nämlich nicht mehr nett. Die Environment Maps für bestimmte Lichtreflexionen sind dann aber wieder ultragrob aufgelöst. Man sieht sehr deutlich die bilineare Vergrößerung, was auch zum Zeitpunkt des Releases nicht mehr Standard war.

Die Polygonauflösung ist begrenzt und beispielsweise Säulenfüße ändern in einer bestimmten Entfernung ihr Aussehen, was natürlich nervt. Und es gibt hier keine Hysterese. Dieser Mechanismus würde bewirken, dass es keine gemeinsame Grenze zum "hin-" und "her-poppen" gibt. Sondern dass beispielsweise ein erhöhter Detailgrad erst einmal für einige Zeit beibehalten wird. In World of WarCraft kann man das Geometrie-LOD-System wenigsten abschalten. Bei Half-Life 2 habe ich bislang vergebens den Schalter dafür gesucht.

Weiterhin werden Texturen schamlos wiederholt. Das Problem ist auch bei Max Payne 2 anzutreffen, aber nicht in diesem Ausmaß. Texturwiederholung zerstört bei übermäßigem Einsatz den grafischen Realismus. In der Vorhalle zeigen alle Tafeln die gleichen Ankunfts- und Abfahrtszeiten. Das ist peinlich. Die Decke scheint hoch aufgelöst, aber nutzt sich wiederholende Texturen. Da wurde noch nicht einmal mit Textur-Spiegelung oder ähnlichen Techniken gearbeitet. Der Boden wirkt alles andere als hoch aufgelöst: Herumliegendes Zeitungspapier und anderes lassen nicht vermuten, dass man einen NexGen-Kracher spielt.

Man hat keine Detailtexturen in Half-Life 2. Diese wurden übrigens bei Max Payne 2 auch eingespart (der Vorgänger, also Max Payne, hingegen bietet noch welche). Bei Half-Life 2 sind viele Texturen aber nicht so hoch aufgelöst wie erforderlich, hier wären Detail-Textures der Bringer. Sonst hat man, wie man sieht, deutliche Unschärfe, wenn man sich einer Wand zu sehr nähert.

Geht man in Max Payne 1 nahe an eine Mauer, sind die Mauersteine und Fugen für heutige Verhältnisse sehr unscharf. Die Detail-Textur, einfach eine (offenbar nur in Graustufen gespeicherte) feine Struktur, sorgt aber dafür, dass die Mauer eine scheinbar rauhe Oberfläche bekommt. Man kann sich das wie einen vorberechneten Bumpmapping-ähnlichen Effekt vorstellen. Lange Rede, kurzer Sinn: Die eigentlich nicht mehr zeitgemäßen Texturen in Max Payne fallen dank der Detail-Texturen nicht so negativ auf. Half-Life 2, das große Hype-Spiel, bietet keinen derartigen Mechanismus, dafür aber Texturen, die aus nächster Nähe oft unschärfer sind als in Max Payne 2.

Was das Texture-Artwork angeht, hat die kleine finnische Softwareschmiede Remedy bessere Leute als Valve, die zudem von ATI alimentiert werden.

Wenn es um Texturauflösung geht: Die Grobheit der HL2-Lightmaps, welche die vorgerenderten Schattenwürfe speichern, führt bei mir nur zu Kopfschütteln. Die 3D-Performance nur für sinnvolle Dinge verwenden – ja bitte. Dass ein angeblich wegweisendes Spiel auch Uralttechniken wie Lightmaps nutzt – kein Problem, so lange es gut aussieht. Lightmaps sind nach wie vor eine sinnvolle Technik, um mit wenig Aufwand ein gutes Ergebnis zu erreichen. Bei Half-Life 2 sieht es meistens nicht sehr gut aus. Hier zerstört die zu niedrige Auflösung die Illusion eines korrekt geworfenen Schattens.

Die feinen Sonnenstrahlen, die in die Halle scheinen, sind ein netter Effekt. Doch der grafische Gesamteindruck des Spiels leidet unter zu grob aufgelösten vorgerenderten Schatten. Max Payne 1 und 2 treiben die Lightmap-Grobheit nur bis zur Schmerzgrenze, echte Mängel gibt es dort nur selten. Valve überschreitet bei Half-Life 2 hingegen diese Grenze.

Der Lichtscheineffekt auf dem Boden bewegt sich mit, wenn man läuft, und berücksichtigt nicht, dass die Fenster als Lichtquelle nahe genug sind, dass sich der Lichteinfallswinkel deutlich ändert, wenn man durch die Halle läuft. So bleibt es bei billiger Effekthascherei. Und in der Außenwelt? Die Grasbüschel "drehen sich mit".

So erspart man sich, ein Büschel aus einem Kreuz zusammenzusetzen und braucht nur eine Fläche zu rendern. Doch sich mitdrehendes Gras zerstört die Illusion. Dass sich Gegenstände "mitdrehen" hat mich schon bei "Wolfenstein 3D", dem Original-Spiel anno 1992 aufgeregt.

Der HL2-Content insgesamt wäre 2002 noch aufsehenerregend gewesen, 2003 noch immer gut. Für ein Spiel, das den Anspruch der Verwendung einer NextGeneration-Engine erhebt, ist es 2004 und erst recht 2005 nichts besonderes mehr. Zwar ist, wie das Wasser in der Draufsicht, einiges auch gut gelungen, aber es wurden einfach zu viele Kompromisse gemacht. Was hat Valve die ganze Zeit nur in der Entwicklung angestellt? Experimentiert, wie weit man die Texturauflösung herunterdrehen kann?

Pixelshader-Effekte dürfen nicht am laufenden Bande flimmern, in Außenwelten dürfen die Alphatesting-Artefakte nicht laufend den ansonsten guten Eindruck kaputt machen. Die Texturen für bestimmte Effekte sind viel zu niedrig aufgelöst.

Auch andere Spiele setzen viele Effekte nur unter Inkaufnahme von unrealistischen Nebeneffekten um. So wird in Max Payne 2 auf glänzende Gegenstände kein Schatten geworfen, und in beweglichen Objekten sieht man fast nie Einschusslöcher. Dazu kommt auch hier der übermäßige Gebrauch von Alphatesting ohne Blending. Angesichts der in Half-Life 2 investierten Manpower fällt es mir aber nicht so leicht, das in Gordon Freemans Welt zu verzeihen.

Dem glückliche Besitzer einer Radeon X850 XT (oder X800 XL) wird indirekt durch die offensichtlich enge Zusammenarbeit von Valve mit ATI Glauben gemacht, dass flimmernde Maschendrahtzäune noch immer Stand der Technik seien, oder Pixelshader-Effekte in Entfernung zwangsläufig flimmern würden. Das Spiel reizt aktuelle Grafikkarten lange nicht aus, deshalb ist es auch kein Wunder, dass die Geschwindigkeit der Engine so gut ist.

Einfach gesagt, ist das Spiel auf eine Radeon 9600 Pro optimiert. Was diese Karte leisten kann, lässt sich in Half-Life 2 bestaunen. Was man jedoch nicht sehen kann, ist die Power einer Karte vom Schlage einer Radeon 9700 oder 9800, geschweige denn einer Radeon X800 XT.

Die Engine an sich ist wohl leistungsfähiger als man in Half-Life 2 zu sehen bekommt. Vom möglichen Bumpmapping sieht man leider wenig, das HDR-Lighting fehlt gleich ganz. Der Wasser-Effekt ist wenigstens in der Draufsicht gelungen, aber gleichzeitig fühlt man sich "dank" der Alphatest-Texturen wie in einem DX6-Spiel.

Leuchtet man mit der Taschenlampe in einen Lüftungsschacht, versagt die Engine: Mal ist die obere Wand, mal die untere Wand komplett schwarz. Leuchtet man aufs Wasser, reflektiert das Wasser kein Licht. An allen Ecken und Enden sorgt ein bisschen Effekthascherei für Aufsehen, doch die Umsetzung ist nicht solide genug, um wirklich glaubwürdig zu sein.

Doom 3 beispielsweise bietet von der Engine her nur Bumpmapping und Stencil-Schatten. Dies wurde jedoch konsequent umgesetzt, die Spielwelt wirkt wie aus einem Guss. Patzer wie niedrig aufgelöste Texturen nerven auch in diesem Spiel hin und wieder. Bei Half-Life 2 stören inkonsequent umgesetzte Effekte jedoch am laufenden Band.

Auf ein Holzbrett sind Steine zu legen, damit Gordon Freeman am anderen Ende auf einen Absatz springen kann. Die Physik wirkt jedoch nicht echt. Das mag daran liegen, dass das eigene Gewicht der Spielfigur nicht korrekt berücksichtigt wird. Abgesehen davon, dass Gordon Gegenstände anheben und tragen kann: Was bietet Half-Life 2 aus physikalischer Sicht mehr als Max Payne 2, welches einfach eine bereits verfügbare lizensierte Physik-Engine nutzt?

Valve will Source stressfrei weiterverkaufen, da macht es sich natürlich gut, wenn alles selbst entwickelt wurde. Doch mich als Spieler interessiert keine Vermarkungspolitik. Wirklich neues sehe ich bezüglich der Physik jedenfalls nicht. Valve hätte sich vielleicht doch nicht alles selbst stricken sollen und so vielleicht Ressourcen freimachen können, um das Release 2003 zu schaffen.

Korrektur: Half-Life 2 verwendet Havok, also eine fertige Physik-Engine - da hat mich mein Gedächnis bezüglich einer Valve-Eigenentwicklung getrügt. An Kritik bleibt, dass die Physik-Spielereien in HL2-Level keine großartigen Neuheiten bringen.

Die Steam-Technik hat natürlich nicht nur Nachteile. Wenn ich das richtig verstanden habe, braucht man bei einer verloren gegangener DVD nur seinen Steam-Account, um das Spiel aus dem Internet neu installieren zu können. Doch der Zwang zu Steam hinterlässt bei mir kein gutes Gefühl. Die HL2-Startzeit (inkl. Spielstand laden) ist zudem auf meinem PC, von der fertig gestarteten Windows-Oberfläche aus, größer, als den Rechner anzuschalten, zu booten und sich in World of WarCraft einzuloggen (4:50 zu 4:40).

Was nach knapp 5 Minuten Steam- und HL2-Ladezeit bleibt, ist eine Spielwelt, die aussieht wie Max Payne 2 mit einigen zusätzlichen Shader-Effekten, welche jedoch durch die Bank flimmern. Beim Flimmern werden die Shader tatkräftig von Maschendrahtzaun-Texturen unterstützt. Der nicht geglättete Untertitel-Font wirft die Frage auf, ob Valve bereits 2004 das Mark Rein'sche Theorem umzusetzen versucht hat.

Worum es in der Story geht, wird dem Spieler nicht klar gemacht, man stößt ihn einfach in diese Welt rein: The right person in the flimmering place. Der dann immerhin doch aufgebaute Verfolgungsdruck, mit dem die Handlung zunächst an Fahrt gewinnt, wird durch die ständigen Ladepausen wieder abgebaut. Doch vielleicht soll ja der nicht vorhandene Fortschrittsbalken zur Spannung beitragen ("Gehts gleich weiter? Gehts jetzt weiter??").

Aus meiner Sicht jedenfalls: 39,90 €, die sich für mich nicht gelohnt haben.



Ein Nachtrag zu dieser Kolumne, welcher sich in erster Linie mit den technischen Aspekten von Half-Life 2 beschäftigt, ist in unserem Forum zu finden.






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