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Deutschland und seine Zensur

26. September 2000 / von Leonidas / Seite 1 von 3


Einige werden bei diesem Thema schon vorab grün anlaufen und andere die BPjS gleich zum Teufel wünschen. Was das Problem sicher auch nicht lösen wird - aller Monate wieder gibt es Spiele, bei welchem die eigentlich zum Jugendschutz erdachten Gesetze die erwachsenen Bürgern dieses Landes stark in ihrer vom Grundgesetz verbürgten Freiheit behindern.

Aktuell (zumindestens "when it´s done") betrifft das den Wolfenstein - Nachfolger (er hat das böse "W"-Wort benutzt - teert und federt ihn!) Return to Castle Wolfenstein. Wobei RtCW ein spezieller Fall ist - der Vorgänger ist nicht nur rein indiziert wurden, sondern wurde in Deutschland gleich verboten und die im Handel befindlichen Exemplare konfisziert.

Da auf dem Gebiet "Indizierung & Verbot" immer noch viele falsche Ansichten existieren, gebe ich nachfolgend einen kurzer Querschnitt der rechtlichen Grundlagen. Betrachtet wurden diese dabei rein unter dem Blickpunkt der Computerspiele. Ich oute mich sicherheitshalber schon vorab: Ich bin kein Rechtsexperte. Ich kann also nur hoffen, daß meine nachfolgenden Auslegungen in jedem Punkt auch wirklich vollständig rechtskonform sind - und bitte deshalb darum, Fehler mir schonend per Mail beizubringen. Ansonsten sind alle weiteren sinnvollen Kommentare erwünscht, bei allgemeiner Relevanz werden diese aller Wahrscheinlichkeit nach auch an diesen Artikel angehangen.


Fall 1: Indizierungen

Damit beschäftigt sich die Bundesprüfstelle für jugendgefährende Schriften (BPjS) - und zwar vorwiegend im Rahmen des "Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte" (GjSM). Die BPjS wird nur auf Antrag von Jugendämtern oder ähnlicher Stellen tätig - es sind keine Anträge durch Privatpersonen möglich. Die BPjS prüft nun diesen Antrag - eine Indizierung wird aber nur dann ausgesprochen, wenn es eine Zwei-Drittel-Mehrheit dafür gibt. Für eine Indizierung von Spielen ist es im übrigen unerheblich, mit welcher Altersfreigabe laut USK diese versehen sind.

In Folge einer Indizierung darf das Spiel nicht mehr öffentlich angeboten, nicht beworben und anderesweitig Minderjährigen zugänglich gemacht werden. Es darf dabei aber weiterhin an Erwachsene "unter dem Ladentisch" verkauft werden. Der Versand - auch an Erwachsene (und auch bei Vorlage des Personalausweises!) - ist dabei allerdings ausdrücklich untersagt (es könnte sich ja jemand mit Daddy´s Ausweis eine Q3A-Kopie bestellen).

Das Verbot der "Werbung" veranlaßt bekanntermaßen viele Magazine und WebSites, eine Art "Selbstzensur" zu betreiben und indizierte Spiele nicht beim Namen zu nennen. Ich kann allerdings in den entsprechenden Paragraphen keine Hinweise finden, daß das Wort "Werbung" so allgemein auszulegen sei. Vielmehr wird in diesem Zusammenhang auch von den Gesetzestexten immer von einer Werbung aus gewerblichen Gründen ausgegangen - da ein Magazin oder eine WebSite durch die Namensnennung "Quake III Arena" nichts verdient, halte ich die Aufregung um dieses Thema für reichlich übertrieben.

Gegen das Urteil der BPjS kann man als Beteiliger (und nur als dieser!) Einspruch einlegen - und das auch nur innerhalb eines Monats. Wenn also die Spielevertreiber nicht sofort nach einer Indizierung reagieren, ist der Zug im Prinzip abgefahren. Weiterhin möglich seitens der BPjS sind abgekürzte Verfahren bei Konvertierungen von Spielen auf andere Systeme und bei schwer jugendgefährdendem Inhalt.

Und damit zur wichtigsten Frage: Als was gilt im Sinne des GjSM "jugendgefährdend"? Ich beziehe mich im folgenden wieder nur auf die für Spiele relevanten Teile, daß heisst es geht rein den Aspekt der "Gewaltdarstellung" (Auszug aus dem GjSM, § 1):

  • Jugendgefährdend sind Medien, die geeignet sind, Kinder und Jugendliche sozialethisch zu desorientieren.
  • Die "sozialethische Desorientierung" muß nicht mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit eintreten; es genügt der mutmaßliche Eintritt einer sittlichen Gefährdung.
  • Schriften wirken verrohend oder reizen zur Gewalt und zur Begehung von Straftaten an, wenn beim jungen Menschen durch den Konsum eine gefühllose abgestumpfte Gesinnung hervorgerufen oder verstärkt wird und wenn zu befürchten ist, daß Jugendliche dazu verführt werden, selbst gewalttätig zu handeln oder Straftaten zu begehen, weil sie das dargestellte Verhalten sinnvoll, vorbildlich oder nachahmenswert finden. Theoretische Basis dieser Annahme ist die Lerntheorie (Lernen am Modell sowie durch Verstärkung).
  • Gewaltdarstellungen sind vor allem jugendgefährdend, wenn eines oder mehrere der folgenden Kriterien zutreffen:
    • 1. Gewalt wird als sinnvolles Konfliktlösungsmittel dargestellt.
    • 2. Gewalt wird im Namen des Gesetzes oder im Dienst einer angeblich guten Sache als selbstverständlich dargestellt, obgleich in Wirklichkeit das Recht außer Kraft gesetzt wird.
    • 3. Selbstjustiz wird als einziges angemessenes Mittel zur Durchsetzung vermeintlicher Gerechtigkeit dargestellt.
    • 4. Mord und brutale Gewaltszenen werden detailliert und als Selbstzweck dargestellt.

Wenn man hier ehrlich ist - insbesondere der allerletzte Punkt ist mehr oder weniger bei jedem FirstPersonShooter gegeben. Es dürfte sich jedenfalls als ungeheuer schwierig herausstellen, jemanden, der den Sinn und Zweck dieser Spiele nicht einordnen kann, vom Gegenteil zu überzeugen - dafür sind die heutigen Spiele einfach zu realistisch. Rein auf dieser gesetzlichen Grundlage ist an den aktuellen Indizierungen kaum zu deuteln - eventuell sind es gar zu wenige (UT).

Prinzipiell sind natürlich trotzdem einige Gegenfragen zu stellen: Ein Gesetz, welches selber zugibt, im Endeffekt auf einer Theorie zu beruhen? Das halte ich für höchst überdenkungswürdig - noch dazu, wo diese Theorie unter Experten sehr umstritten ist bzw. sogar schon ab und zu wissenschaftlich wiederlegt wurde. Die einzige ernstzunehmende Langzeitstudie spricht sich jedenfalls deutlich gegen die alten Vorurteile aus.

Interessant auch ein anderer Punkt, welcher sich aus dem das GjSM begleitenden "Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit" (JÖSchG) ergibt: So haben Gaststätten, Alkohol, Tanzveranstaltungen, Filmveranstaltungen, Bildträger (Videos), Spielhallen und das Rauchen jeweils eigene Regelungen bezüglich des Jugenschutzes. Die Frage stellt sich, warum hier Computerspiele und das Internet allgemein bis dato "ungeregelt" dastehen - und damit in das Korsett der bisherigen Paragraphen hineingepresst werden müssen. Inbesondere das Internet schreit nach eigenen Regelungen, welche den extremen Unterschieden des Internets zu allem anderem bisher dagewesen gebührend Rechnung tragen.

Ebenfalls eine wichtige Fragestellung, welche nicht durch die aktuellen Gesetzestexte beantwortet wird: Dürfen diese jugendschützerischen Gesetze die Freiheit der Erwachsenen so extrem beschneiden, wie es momentan zu beobachten ist? Wieder wird der Besonderheit von Computerspielen und des Internets keine Beachtung geschenkt und man muß die bisherigen, aber für diese Fälle unzureichenden Regelungen anwenden. De facto beschneidet die durch das GjSM ausgelöste Praxis bei Computerspielen meine Freiheiten als Erwachsener - das Computerspiele kein Thema von größerer gesellschaftlicher Bedeutung ist, spielt vor dem Gesetz keine Rolle: Wahres Recht schützt insbesondere die Minderheiten. Immerhin sagt selbst die BPjS: Erwachsene sollen und müssen weiterhin die Möglichkeit erhalten, indizierte Medien zu beziehen.

Leider sagt hier die Bestandsaufnahme in der Praxis etwas ganz anderes. Wir alle wissen, daß es teilweise nicht einfach ist, an indizierte Titel heranzukommen. Insbesondere die hehre Idee des "unter dem Ladentisch" - Verkaufs funktioniert in der Praxis höchst selten. Für die großen Ketten ist der geringe und sich vor allem auf einen großen Zeitraum verteilenden Umsatz mit den indizierten Titeln nicht lukrativ genug - da wird lieber der nächste TombRaider-Aufguß gleich palettenweise innerhalb von nur wenigen Tagen an den Mann gebracht. Hier schadet das GjSM meinen Rechten als Erwachsener - und als dieser habe ich das Recht eben auch auf indizierte Titel.

Worauf ich bezüglich der aktuellen Indizierungs-Praxis hinaus will: Nicht die BPjS ist der "Feind", diese tut nur ihren Job. Und gegen Jugendschutz, auch mit Indizierungen, ist nicht wirklich etwas einzuwenden (auch wenn mir die unter-18-jährigen diesen Satz jetzt übel nehmen). Aber: Die entsprechenden Jugendschutz-Gesetze benötigen dringender Überarbeitung, die Themen "Computerspiele" und "Internet" müssen sachgerecht aufgenommen werden. Dies sollte das eigentliche Ziel sein. Und dies kann natürlich nicht die BPjS, sondern allein der Gesetzgeber.



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