Deutschland und seine Zensur
26. September 2000 / von Leonidas / Seite 2 von 3
Fall 2: Verbot und Beschlagnahmung
Gleich als erstes: Dies hat nichts mit der Indizierung zu tun. Und daraus ergibt sich sofort der zweite wichtige Punkt: Auch die BPjS hat damit nichts zu tun. Genauer: Verbotene Spiele müssen nicht indiziert sein und indizierte Spiele müssen nicht verboten werden - dies sind eben zwei grundsätzlich verschiedene Paar Schuhe. Denn Verbote und Beschlagnahmungen ergeben sich nicht aus dem GjSM, sondern aus dem Strafgesetzbuch (StGB) - nachfolgend eine sinngemäße Zusammenstellung der entsprechenden Paragraphen:
Auf Spiele sind im eigentlichen nur die Paragraphen 86a (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen), 130 (Volksverhetzung), 131 (Gewaltdarstellung) und 184 (Verbreitung pornographischer Schriften) anwendbar, wobei nur den § 86a und § 131 eine aktuelle Relevanz zukommt. Überdies wird der § 131, welcher Gewaltdarstellung beschreibt, die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorganges in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt, kaum noch angewandt. Meistens werden Spiele wegen des § 86a (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) verboten und beschlagnahmt. Das StGB definiert in diesem Paragraphen die Verbreitung oder Veröffentlichung sowie Verwendung in Versammlungen oder Schriftstücken von Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen (oder solchen, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind) verfassungswidriger Organisationen als Straftat. |
Daraus ergibt sich, daß nicht die BPjS, sondern allein die Staatsanwaltschaft in einem solchen Fall aktiv wird. Diese reicht vor Gericht einen Antrag auf Verbot eines Spiel ein, welches dann darüber entscheidet. Ein ausgesprochenes Verbot zieht im übrigen in der Regel eine Beschlagnahmung mit sich, allerdings darf man in den meisten Fällen sehr wohl eine private Kopie besitzen oder gar für die privaten Gebrauch importieren. Das gilt insbesondere bei Sachen mit nationalsozialistischem Inhalt, also auch Spielen mit "Hakenkreuzen". Allerdings hängt dies alleinig vom Wortlaut des Gerichtsbeschlußes ab, welches zur Beschlagnahmung führt. Eine nichtprivate Nutzung (Verkauf, Vermietung, öffentliche Vorführung) schließt sich logischerweise in jedem Falle aus und wird als Straftat verfolgt.
Hier liegt auch der Unterschied zur BPjS und der Indizierungs-Praxis - während die vom GjSM definierten jugendgefährenden Schriften nur Jugendlichen nicht zugängig gemacht werden sollen, aber ansonsten für Erwachsene frei sind - geht das StGB eben gegen eindeutige Straftaten vor. Verbote sind also kein Mittel des Jugendschutzes (ganz besonders kein Werk der BPjS), sondern die mehr oder weniger einzige Möglichkeit des Staates, gesetzeswidrige Sachen zu unterbinden. Die einzige Frage, die sich dabei stellt, ist die nach der Verhältnismäßigkeit der Anwendung. Die Diskussion über Sinn und Zweck der entsprechenden Artikel des StGB verbietet sich meiner Meinung nach von selbst.
Aber nach aller Fürsprache für diese Grundsätze muß leider herbe Kritik bezüglich einiger praktischer Auswüchse erfolgen - womit wir wieder beim Anfang, bei "Castle Wolfenstein" wären. Dieses wurde seinerzeit wegen der Nazisymbole verboten und beschlagnahmt (die private Kopie ist allerdings erlaubt). Warum? Nur wegen der Nazisymbolik und dem "Horst-Wessel-Lied" im Intro? Die ist zwar die offizielle - aber zu einfache Erklärung, welche außerdem die damaligen Verhältnisse unserer Gesellschaft nicht berücksichtigt.
CW war zum Erscheinen eine absolute Revolution (auch wenn wir heute über die Grafik lachen würden) - der erste FirstPersonShooter und damit der Anfang eines neuen Genres. Mit dieser Neuartigkeit sind die Gesetzeshüter wohl nicht fertiggeworden: "Gewaltverherrlichend" + Nazi-Symbole. Daß die Nazis im Spiel der Feind waren und die Nazi-Symbole nicht im geringsten dem Straftatbestand des "Zurschaustellens von nationalsozialistischen Symbolen" entsprachen, sondern einfach zu einer Story in den Kriegsjahren dazugehören, halt wohl keiner realisiert. Für meine Begriffe ist CW seinerzeit diese Kombination zum Verhängnis geworden - damit konnte man einfach nichts anfangen und hat es der Einfachkeit halber in die braune Ecke gestellt.
Dies ist - nur bezogen auf CW - aus heutiger Sicht eine extrem krasse Fehlentscheidung. Indizierung aus Gründen der "für Jugendliche zu drastischen Gewaltdarstellung" hin und her - der Tatbestand des Veröffentlichens von Nazi-Symbolen ist nie und nimmer haltbar. Mehr oder jeder Film mit diesem geschichtlichen Hintergrund benutzt die selben Symbole - und darunter fallen nicht nur Meisterwerke wie "Schindlers Liste", sondern auch alle C-Action- und Horrorfilme, welche in der Zeit des Dritten Reiches angesiedelt sind und sicher nicht unter den Begriff des "zu schützenden Kunstwerkes" fallen.
Filmen wird denn erst nach umfangreichen Prüfung ein solcher "Bann" auferlegt - und selbst Filme mit umstrittenen, weil völlig unkritischen Darstellungen zum Nationalsozialismus, kommen heutzutage problemlos ungeschoren davon. Hier schützt den Film seine gesellschaftlich anerkannte Rolle als "gesellschaftliches Gut" - eine Rolle, die Computerspielen momentan noch nicht zugestanden wird. Aktuell reicht denn bei Computerspielen auch das alleinige Vorhandensein entsprechender Nazi-Symbolik zu hektischen Verbots-Handlungen der Staatsanwaltschaft aus - ob der Inhalt eines solchen Spiels nicht eventuell etwas völlig anderes beinhaltet als Nazi-Propaganda, interessiert offenbar niemanden.
Hier wird ziemlich eindeutig mit zweierlei Maß gemessen. Noch schlimmer: Diese eine klare Fehlentscheidung bei CW ist mittlerweile zum Maßstab geworden. In Spielen wie "Commandos" (ein Beispiel von vielen) wurden vorsorglich vom Vertreiber die - feindlichen - Hakenkreuze entfernt, um das Spiel überhaupt in Deutschland verkaufen zu können. Selbiges droht "Return to Castle Wolfenstein" - nur das es hier keine deutsche Version geben wird und dies Spiel damit relativ sofort nach Erscheinen verboten werden wird (Vergleiche: Mortyr). Verboten aufgrund einer uralten Fehlentscheidung und gravierendem Unverständnis gegenüber dem neuen Medium "Computerspiele".
Dies macht natürlich diese Verbote nicht weniger rechtskräftig - die Frage bleibt allerdings, wie ein vernünftig denkender Mensch bei solchen Fehlentscheidungen noch Vertrauen in unseren "Rechsstaat" investieren soll. Ich denke, an dieser Stelle tut eine Sichtung und Überdenkung der bestehenden Verbote dringend not. Der derzeitige Zustand ist jedenfalls eine Beleidigung eines klar denkenden Menschen - Verbote werden in dem Sinne nach Willkür ausgesprochen, vergleichbare Maßstäbe sind Fehlanzeige.
Fazit
Somit wird das große Problem der beiden momentanen Zensur-Maßnahmen in diesem Staat deutlich: Sie sind bei weitem nicht mehr auf die aktuellen Anforderungen und Gegebenheiten wie eben das Internet und Computerspiele ausgelegt. Die gesetzlichen Regelungen zur Indizierung und zu Verboten von Spielen erwähnen sowohl die Computerspiele als auch das Internet (als Vertriebs- und Veröffentlichungsweg genauso mit im Brennpunkt) überhaupt nicht.
Insbesondere die Einzigartigkeit des Internets schreit nach praktikablen Regeln, welche allen Beteiligten wieder diese Rechtssicherheit gibt, die man normalerweise in anderen Bereichen unserer Gesellschaft gewohnt ist. Denn momentan ist das Internet irgendwo im rechtsfreien Raum und die deutsche Justiz stülpt je nach Notwendigkeit in Ermanglung von Alternativen andere Gesetze darüber, um daraus Recht zumindestens ableiten zu können. Sicher kein haltbarer Zustand - und auch keiner, welcher jetzt noch über Jahre hinweg "ausdiskutiert" werden sollte.
Auch über die gesetzliche Erwähnung und entsprechende Regelungen speziell für den Markt der Computerspiele wäre nachzudenken - immerhin ist die komplette Videospiel-Branche mittlerweile größer als ganz Hollywood! Das Filmrecht ist mittlerweile einigermaßen ausgeprägt - jedoch genauso wie beim "Internet" wird mit den "Computerspielen" momentan immer noch versucht, diese in bestehenden Gesetzes-Korsetts zu zwängen - auf Dauer sicher genauso kein haltbarer Zustand. Unsere Politiker sind hier aufgefordert, mehr zu tun, als nur "Internet-Initiativen" für Bevölkerungskreise anzukündigen, die eh schon zu mehr als 70 Prozent Internet haben ...
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