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Deutschland und seine Zensur

26. September 2000 / von Leonidas / Seite 3 von 3


Leserstimmen

Letzte Aktualisierung: 29. September 2000


Oliver Kirchner schrieb:

Wunschgemäß einige Anmerkungen:

a.) Das Gesetz wird heute (nach der Ergänzung sonstiger Mediainhalte) als GjSM bezeichnet.

b.) Auch die BPjS hat damit nichts zu tun. Genauer: Verbotene Spiele müssen nicht indiziert sein und indizierte Spiele müssen nicht verboten werden - dies sind eben zwei grundsätzlich verschiedene Paar Schuhe.
Zur Wechselwirkung zwischen sog. Verboten und der Indizierung beachte § 6 GjSM, dh. einige Verbote wirken unmittelbar auch als Indizierung.

c.) Auf Spiele sind im eigentlichen nur die Paragraphen 86a [...] anwendbar
Das sind sicherlich die Naheliegensten, aber die Liste läßt fast beliebig erweitern, zB. §§ 185 ff., 90 ff. (Beleidungsdelikte), § 111 (öffentl. Aufforderung zu Straftaten), § 130 a (Anleitung zu Straftaten) usw.

d.) beiden momentanen Zensur-Maßnahmen in diesem Staat
Die Verbote bewirken eine sog. 'Nachzensur', diese ist statthaft, Art. 5 I 3 GG, dh. es ist sachlich unzutreffend im Kontext der von Dir bezeichneten Strafvorschriften von 'Zensur' (im rechtlichen Sinn) zu sprechen, weil diese lediglich als 'Vorzensur' begriffen wird.


Oliver "Grifter" Weigmann schrieb:

Ich bin leidenschaftlischer Shooter zocker und nebenbei auch noch Student der Rechtswissenschaft und wollte nur mal versuchen Dir auf Deine Frage eine kleine Antwort zu geben:

Dürfen diese jugendschützerischen Gesetze die Freiheit der Erwachsenen so extrem beschneiden, wie es momentan zu beobachten ist?

Und zwar folgende (achtung, wirklich klein aber ich bin auch noch nicht voll ausstudiert), der Schutz der Jugend nimmt einen sehr hohen Stellenwert im deutschen Recht ein. Das geht von einem Geringerem Strafmaß im Straßrecht über besondere Regelungen zum Schutze nicht voll geschäftsfähiger im Zivilrecht bis eben zum GjS. Ich denke mal daß die Gesetzgeber sehr wohl um die Einschränkungen die eine Indizierung für volljährige Bürger zur Folge hat wissen, dieses "Opfer" aber zum angeblichen Schutz der Jugend in Kauf nehmen. Ich denke mal daß es in den Augen des Gesetzgebers nur eine nicht weiter zu berücksichtigende beeinträchtigung unserer aus Art. 2 des GG abgeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechte (freie Entfaltung der Persönlichkeit, Recht auf informationelle Selbstbestimmung usw.) ist. Rechtlich kann man dagegen auch nicht angehen, da ich mir kaum vorstellen kann das man diese Beschwerde bei einem Verfassungsgericht in irgendeiner Instanz gewinnen kann.

Ich selbst arbeite nebenbei noch in einer Videothek und werde mit dem Sinn und Unsinn von Indizierungen und Beschlagnahmen daher auch des öfteren konfrontiert und ich würde die Damen und Herren von der BPjS mitsammt Ihrer, in meinen Augen überflüßigen, Behörde hin und wieder selbst gerne auf den Mond schießen. Zur Beschlagnahme lasse ich mich jetzt besser nicht aus sonst schießt mein Blutdruck durch die Decke :-).


Supersieggie schrieb:

Obwohl ich selbst auch (noch) kein Rechtsexperte bin, sondern lediglich Jura-Student, sind mir doch einige Unrichtigkeiten in Deinem Artikel aufgefallen, die ich gerne kommentieren möchte:

Zunächst gehe ich einmal davon aus, daß Du mit "Castle Wolfenstein" (CW) tatsächlich "Wolfenstein 3D" (W3D) meinst. Das aus den frühen 80ern stammende, u.a. für C 64 und Apple IIc programmierte CW war der Vorgänger von W3D und mit Sicherheit keine "absolute Revolution" und auch kein First-Person-Shooter. Aber dazu später mehr.

Du hälst das Verbot von W3D für eine "aus heutiger Sicht extrem krasse Fehlentscheidung". Der "Tatbestand des Veröffentlichens von Nazi-Symbolen" sei "nie und nimmer haltbar". Dies ist jedoch schlichtweg falsch: § 86a StGB stellt schon das alleinige öffentliche Verwenden verbotener Kennzeichen unter Strafe (der Einfachheit halber beziehe ich mich bei den "verbotenen Kennzeichen" im Folgenden auf Hakenkreuze). Folglich macht sich schon der strafbar, der ein Hakenkreuz an ein öffentliches Bauwerk schmiert. Dabei geht es um keine damit verbundene politische Aussage; alleine das öffentliche Verwenden ist Strafgrund. Da bleibt wenig Auslegungsspielraum. Deshalb ist das Verbot von W3D auch nach heutiger Sicht keine Fehlentscheidung, da der Tatbestand des Veröffentlichens von Nazi-Symbolen zweifellos gegeben ist.

Das Verbot von W3D beruht also nicht auf der Unsicherheit gegenüber der "Neuartigkeit "Gewaltverherrlichend+ Nazi-Symbole". Dies war außerdem bei der Veröffentlichung von W3D schon keine Neuigkeit mehr: wie gesagt war W3D das Sequel zu CW, das ebenfalls aufgrund der Darstellung von Hakenkreuzen verboten wurde. Und auch nur deshalb.

In diesem Zusammenhang beschwerst Du Dich darüber, daß es offenbar niemanden interessiere, "ob der Inhalt eines solchen Spiels nicht eventuell etwas völlig anderes beinhaltet als Nazi-Propaganda." Nun, dies interessiert in der Tat im Rahmen des § 86a StGB niemanden. Wie schon gesagt reicht das bloße Verwenden von Hakenkreuzen für ein Verbot aus. Ein propagandistischer Zusammenhang ist nicht nötig. Daher wären auch Moorhuhnjagd oder die Teletubbies verboten, wenn in ihnen Hakenkreuze gezeigt würden. Und sowohl Moorjuhnjagd als auch die Teletubbies haben ja nun überhaupt keinen Bezug zum Dritten Reich. Sollte ein Spiel darüber hinaus noch Propaganda beinhalten, wird es gemäß § 86 StGB verboten.

Du rügst, daß in Filmen zwanglos Hakenkreuze verwendet werden dürften, und zwar auch in Filmen, die "sicher nicht unter den Begriff des "zu schützenden Kunstwerkes" fallen". Dies ist jedoch gesetzeskonform: Gemäß § 86 III in Verbindung mit § 86a III ist das Verwenden von Hakenkreuzen u.a. dann gestattet, wenn dies der Kunst dient. Zweifelsohne liegt Kunst im Auge des Betrachters, und es mag befremdlich wirken, B-Movies als Kunstobjekte anzusehen. Der Gesetzgeber spricht jedoch pauschal jedem filmischen Werk zunächst einmal den Status des Kunstobjektes zu. Das mag wohl am Stellenwert und der hohen Verbreitung des Fernsehens in unserer Gesellschaft liegen. Was natürlich nicht bedeutet, daß Filme nicht auch wegen § 86a StGB verboten werden können. Computerspiele haben nunmal (noch) keinen mit dem Fernsehen vergleichbaren Stellenwert in der Gesellschaft. Natürlich nimmt die Verbreitung von Computerspielen in der Gesellschaft stetig zu, so daß Computerspiele nicht mehr nur "Kinderkram" sind. Sie sind nicht mehr nur die Produkte einer Subkultur, für die sie die Rechtsprechung übersprünglich hielt oder noch hält. Trotzdem halte ich es für verfrüht (die Rechtsprechung wohl auch), Computerspielen den selben Status wie dem Fernsehen zuzusprechen. In diesem Zusammenhang wirkt die Behauptung, "die komplette Videospiel-Branche" sei "mittlerweile größer als ganz Hollywood", unseriös. Auf welchen Rahmen beziehst Du Dich? Konsumenten, Angestelle, Umsatz, Gewinn, Verbreitung auf der Welt,...? Ich bezweifle, daß man so einen Vergleich überhaupt mit Zahlen und Fakten sinnvoll darlegen kann. Und eben aus diesem Grund kann man eine solche Behauptung nicht als ernstzunehmendes Argument ansehen.

Du behauptest, "selbst Filme mit umstrittenen, weil völlig unkritischen Darstellungen zum Nationalsozialismus", kämen "heutzutage problemlos ungeschoren davon". Das halte ich für ein Gerücht und somit ebenfalls für kein seriöses Argument. Hier wäre ein Beispiel nötig gewesen. Mir fällt dazu nämlich keines ein. Ich halte es sogar für recht unwahrscheinlich, daß Filme mit unkritischen oder gar propagandistischen Inhalten überhaupt öffentlich kursieren. Zum einen sind Filmproduktionen im Gegensatz zu Computerspiel-Produktionen regelmäßig mit erheblichen Kosten verbunden. Wie sollte sich eine solche Produktion finanzieren? Zum anderen: welcher ernsthafte Filmemacher sollte denn ein Interesse daran haben, den Nationalsozialismus in einem ernsthaften Film unkritisch darzustellen? Propaganda-Filme à la Marke Eigenbau mag es geben; diese kursieren dann aber nur in einschlägigen Kreisen und sind deshalb auch nicht mit Film/Fernsehen oder Computerspielen zu vergleichen. Daher wird hier auch nicht, wie Du behauptest, "mit zweierlei Maß" gemessen.

Mittlerweile sollte wohl klar sein, daß das Verbot von W3D keine "uralte, klare Fehlentscheidung" war. Dieses Verbot ist auch nicht der Maßstab für Commandos, Hidden"Dangerous oder ähnliche Spiele. Der Maßstab dafür ist § 86a StGB. Und der läßt nunmal kaum Auslegungsspielraum: wird ein Hakenkreuz gezeigt, wird das Spiel verboten.

Daher sehe ich das Vertrauen des "vernünftig denkenden Menschen" in den Rechtsstaat auch nicht gefährdet: die Verbote der Original-Fassungen von Commandos o.ä. ergeben sich ganz klar aus § 86a StGB. Deshalb liegt darin auch keine "Beleidigung eines klar denkenden Menschen". Und da § 86a StGB wirklich denkbar einfach gestrickt ist, gibt es hier auch keine Fehlentscheidungen. Voraussetzung dafür ist natürlich, daß man den Sinn des § 86a StGB verstanden hat.

Die rechtliche Bewertung des Internet hat mit der Anwendung des § 86a StGB auf Computerspiele nichts zu tun. Darum ist mir nicht klar, warum Du diesen Nebenkriegsschauplatz gegen Ende eröffnest. Trotzdem eines dazu: Es ist in der Tat ein rechtswissenschaftliches Werkzeug, gültige Gesetze auf eine neue Situation anzuwenden oder "überzustülpen", wie Du es nennst (= Analogie). Analogien sind jedoch stets restriktiv einzusetzen. Sie dürfen also auf keinen Fall verwendet werden, um einem Betroffenen zu schaden, sondern nur, um diesen besser zu stellen als zuvor. Das regelt eindeutig das Grundgesetz und § 1 StGB.

Fazit: Weder das Verbot von W3D noch das von Commandos und Konsorten sind Fehlentscheidungen. Diese Spiele verstoßen eindeutig gegen § 86a StGB. Denn dieser sagt ganz klar, daß das öffentliche Verwenden von Hakenkreuzen verboten ist. An dieser Lage könnte sich höchstens dann etwas ändern, wenn man Computerspielen den gleichen Stellenwert wie dem Fernsehen beimessen würde. Dafür ist es aber (noch?) zu früh.

Um abschließend etwas klarzustellen: ich selbst finde es auch störend, wenn in Spielen mit (pseudo)geschichtlichem Hintergrund die Hakenkreuze entfremdet oder entfernt werden, da diese schon zum stimmigen Gesamtszenario beitragen. Die rechtliche Grundlage eines solchen Verbots, nämlich § 86a StGB, ist mir aber bekannt und verständlich. Und den Grund für § 86a StGB finde ich akzeptabel, wenn nicht sogar richtig: ich bin dagegen, daß Hakenkreuze und andere Nazi-Symbole in einem scheinbar harmlosen Kontext gezeigt werden. Auf den Hintergrund des § 86a StGB und meine Meinung dazu möchte ich aber jetzt nicht näher eingehen.

Ich finde Dein Bestreben löblich, der Spielergemeinde die Begriffe "Indizierung" und "Verbot" zu erklären. Ich selbst habe dies schon in mehreren Diskussionen im Forum der Spiele-Zeitschrift Gamestar versucht (ich hoffe natürlich, daß es mir stellenweise auch gelungen ist). Aktuell auch in einer Diskussion zu "Return to Castle Wolfenstein". Darin und in einem andern Beitrag haben übrigens Teilnehmer die zweite Seite Deines Artikels zitiert. Deshalb hat es mich verblüfft, als Du in Deinem Fazit von den "beiden momentanen Zensur-Maßnahmen in diesem Staat" sprichst. Dir sollte doch klar sein, daß Indizierung keine Zensur ist. So ein grundlegender Fehler zum Ende Deines Artikels fällt natürlich ins Gewicht. Ich habe nämlich festgestellt, daß viele schlecht informierte Spieler der Meinung sind, die BPjS würde Spiele beschneiden. Dies ist aber ja gerade nicht der Fall, wie Du ja wohl selbst weißt. Deshalb kann hier von Zensur ja keine Rede sein. Du solltest Dir im Klaren darüber sein, daß viele (gerade jüngere Leser) Deinen und ähnliche Artikel als Expertenmeinungen ansehen werden (trotz Deiner "Warnung"). Da setzen sich solche Vorurteile wie "Indizierung = Zensur" natürlich leicht fest.

Anmerkungen Leonidas:

Ich kommentiere im gewöhnlichen keine veröffentlichten Mails, weil das unhöfflich gegenüber dem Schreiber der Mail wäre. Allerdings will ich eine etwas andere Betrachtungsweise in die Runde werfen: Wolfenstein zu spielen ist nicht öffentlich!

Zum Thema "Verbote" selber: Ich glaube, daß Spiele Filmen gleichgestellt werden sollten und damit als Kunstwerke anerkannt werden sollten. Deshalb die Rede von einem "Fehlurteil" - seinerzeit hat sich niemand den Kopf darüber gemacht, was Spiele darstellen. Das ganze läuft darauf hinaus: Wenn Spiele damals als Kunstwerke hätten gegolten, wäre es ein Fehlurteil, hätten es nicht als Kunstwerk gegolten, wäre es gerechtfertigt. Dabei ist es egal, ob wir erst jetzt feststellen, das Spiele Kunstwerke sind.

Thema "Videospiel-Branche vs. Hollywood": Rein der Umsatz als Betrachtungsgrundlage. Und da hat die Videospielbranche (zu der auch die Konsolen und Spielautomaten gehören) die Filmbranche mittlerweile überholt.

Thema "Filme mit umstrittenen, weil völlig unkritischen Darstellungen zum Nationalsozialismus": American History X. Sehr umstritten, weil teilweise ohne Kritik Neonazismus gezeigt wird. Ich nehme im übrigen hiermit das Adjektiv "völlig" zurück - das ist unrichtig in Bezug auf diesen Film.

Thema "Indizierung=Zensur": Ich denke, unser Staat wird damit leben müssen, das die Menschen diese Vorgehensweise als Zensur sehen - unabhängig der gesetzlichen Definition von "Zensur".



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